Raumfahrt

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„Man muss einen sehr langen Atem haben und darf nicht auf kurzfristige Gewinne hoffen“, so fasst Dr. Achim Leder seine Erfahrungen als Gründer in der Luft- und Raumfahrtbranche zusammen. Für ihn und seine Partner hat sich die Ausdauer gelohnt. Ihr Unternehmen, die jetlite GmbH, ist drei Jahre nach der Gründung auf Erfolgskurs. Das EXIST-geförderte Hamburger Start-up hat einen Algorithmus entwickelt, der Jetlag-Symptome nach Langstreckenflügen reduziert. Dr. Achim Leder: „Der Algorithmus steuert den Blau- und Rotanteil sowie die Lichtintensität der Kabinenbeleuchtung in Abhängigkeit zur Flugrichtung, Flugdauer, den überflogenen Zeitzonen und weiteren Parametern. Das führt dazu, dass die innere Uhr der Fluggäste besser an die Zeitzone des Ziellandes angepasst wird. Im Ergebnis verursacht die Zeitumstellung dadurch weniger Probleme.“

Dass es Durchhaltevermögen braucht, um sich in der Luft- und Raumfahrtbranche zu etablieren, kann Thomas Belitz vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie nur bestätigen. Hinzu komme seiner Erfahrung nach aber auch, dass Start-ups mit ihren Ideen an der richtigen Stelle andocken müssen. Der Grund: In der Luft- und Raumfahrtbranche müssen so gut wie alle Endprodukte zertifiziert sein. „Aber um eine Zertifizierung zu erhalten, müssen Hürden überwunden werden, die mit hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden sind. Hinzu kommen die langen Entwicklungs-, Produktions- und Lebenszyklen unserer Produkte. Das sind alles in allem sehr hohe Anforderungen, die für ein junges Unternehmen kaum zu bewerkstelligen sind.“

Gute Aussichten: innovative Start-ups

Die größten Chancen hätten daher Start-ups, die weder von Zertifizierungsverfahren noch von extrem langen Produktlebenszyklen abhängig sind. Zumal die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten in der Luft- und Raumfahrtindustrie besonders aufgrund der Auftragslage im zivilen Luftverkehr sehr gut sind. Auch im Bundeswirtschaftsministerium stellt man fest, dass sich nicht zuletzt rund um digitale Dienstleistungen, innovative Drohnenanwendungen oder private Raumfahrtprojekte in den letzten Jahren eine vielfältige Start-up-Szene in der Luft- und Raumfahrt gebildet hat. Eine Szene, der das Bundeswirtschaftsministerium mit seiner „Start-up Night! Luft und Raumfahrt“ seit 2015 eine bundesweite Bühne bietet.

Auch bei den Anträgen für EXIST Gründerstipendium und EXIST Forschungstransfer ist der Anteil von Gründungsteams im Bereich Luft- und Raumfahrt in den letzten Jahren gestiegen. Eines davon ist das vierköpfige Team von ArrowTec.

Drohne

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Herausforderung: zeigen, dass es funktioniert

Die Ausgründung der Technischen Universität Berlin hat ein System entwickelt, das eine unbeschränkte Flugdauer von Drohnen ermöglicht. Dadurch ergeben sich neue Anwendungsfelder wie zum Beispiel komplexe industrielle Inspektionen oder die dauerhafte Übertragung von Bildern und Daten. Das 2016 gegründete Start-up ist inzwischen Technologieführer in Deutschland im Bereich sichere und benutzerfreundlichen Drohnensysteme. Co-Gründer und Geschäftsführer Josua Benner erinnert sich noch gut an die Startphase „Wir hatten eine hoch-innovative Technologie entwickelt, die zwar vielversprechend, aber in der Praxis noch nicht erprobt war. Potenzielle Auftraggeber waren zwar interessiert, hatten aber auch Vorbehalte. Hinzu kam, dass wir noch ganz neu am Markt waren und damals keiner sagen konnte, wie sich unser Start-up in den folgenden Jahren entwickeln würde. Wir mussten also sehr viel Überzeugungsarbeit leisten und Zeit in Gespräche mit potenziellen Kunden investieren. Mehr als wir gedacht hatten.“

Wie wichtig es ist, das eigene Produkt einem Praxistest zu unterziehen, um interessierten Kunden zu beweisen, dass es funktioniert, war den Gründern der Morpheus Space GmbH bereits frühzeitig klar. Das EXIST-geförderte Team hat in siebenjähriger Forschungsarbeit an der Technischen Universität Dresden eine Antriebstechnik für Nano-Satelliten entwickelt. Mit Hilfe eines Testsatelliten der Universität Würzburg konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ihre Technik weltalltauglich ist. Co-Gründer Daniel Bock: „Für uns war die Chance, die erfolgreiche Anwendung unseres Antriebs im Weltall zu demonstrieren, ein absolutes Highlight. Damit sind wir weltweit die Ersten, die auf dem kleinsten bisher existierenden Nano-Satelliten einen elektrischen Antrieb installieren und das Ganze auch noch live testen konnten. Das hat uns sehr viel positive Resonanz eingebracht.“

Aber es gibt auch andere Erfahrungen. Für das Gründungsteam von CellCore zum Beispiel, war der Einstieg in den Markt alles andere als ein Spaziergang. Das Ingenieurteam hatte im Rahmen eines Forschungsprojekts an der TU Berlin ein bionisches Verfahren zur Konstruktion von Bauteilen und Produkten entwickelt. Den Einsatzbereich dafür sahen sie vor allem in der Luftfahrtindustrie. 2016 haben sich die drei Ingenieure selbständig gemacht. Co-Gründer Dr. Paul Schüler: „Wir hatten allerdings anfangs unterschätzt, wie aufwändig der Zugang zur Luftfahrtbranche ist. Obwohl uns während der EXIST-Phase sogar ein Mentor aus dem Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin zur Seite stand, ist die Luft- und Raumfahrtindustrie unserer Erfahrung nach bei jungen Unternehmen eher zurückhaltend.“

Gute Strategie: branchenübergreifende Lösungen

Da helfe es nur, auf mehrere Pferde zu setzen und sich frühzeitig branchenübergreifend aufzustellen, rät Thomas Belitz. Die entscheidende Frage sei, inwiefern sich ein Start-up mit seiner Technologie als Problemlöser für andere Branchen präsentieren kann. Für CellCore bestand die Antwort darin, ihr Verfahren mit intensiven Beratungsleistungen zu kombinieren und an den Bedarf mittelständischer Unternehmen im Maschinenbau, der Medizintechnik und einer Reihe anderer Branchen anzupassen. Die Unternehmensstrategie ist aufgegangen. CellCore schreibt schwarze Zahlen. Die Luft- und Raumfahrt behalten sie aber dennoch im Auge. „Uns ist bewusst geworden, dass der Markteintritt in der Branche einfach einen langen Prozess erfordert. Wenn wir heute an Fachmessen oder an Forschungsprojekten teilnehmen, wissen wir, dass daraus nicht von heute auf morgen Aufträge entstehen. Aber die Zeit arbeitet für uns. Denn je länger wir erfolgreich am Markt sind, desto interessanter werden wir für Unternehmen, die gegenüber Start-ups eher skeptisch sind.“

Raumschiff

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Marktöffner: Inkubatoren und Acceleratoren

Tatsächlich scheint der branchenübergreifende Ansatz als Erfolgsmodell in der Branche weit verbreitet zu sein. Auch die Europäische Weltraumorganisation, die European Space Agency ESA, legt darauf in ihrem ESA Business Incubation Centres (BIC) viel Wert. „Die ESA hat dieses Programm für innovative Gründerinnen und Gründer ins Leben gerufen, um die Nutzung von Raumfahrttechnologien zu fördern“, erklärt Thomas Ballatré, Projektmanager bei der AZO Anwendungszentrum GmbH Oberpfaffenhofen, die das ESA BIC Bavaria und Northern Germany leitet. „Wir alle wissen, dass die Entwicklungskosten in der Raumfahrt sehr hoch sind. Wenn es gelingt, für diese Technologien terrestrische Anwendungsmöglichkeiten zu entwickeln und kommerziell zu verwerten, rechnen sich darüber die Investitionen. Es geht also darum, entweder Raumfahrttechnologien in modifizierter Form auf der Erde einzusetzen oder umgekehrt Ideen aus der Robotik, Mobiltechnologie, Automobilindustrie usw. in der Luft- und Raumfahrt anzuwenden. Wir haben zum Beispiel ein Start-up im Programm, das Anwendungen aus der Raumfahrttechnik mit der Auswertung von Satellitenbildern kombiniert, um den Baufortschritt von Gebäuden nach zu verfolgen. Das heißt, als Bauherr kann ich mir über eine Onlineplattform den jeweiligen Status des Gebäudes anschauen“.

Im Rahmen des ESA BIC Inkubationsprogramms erhalten Start-ups an den drei bayerischen Standorten Oberpfaffenhofen, Ottobrunn und Nürnberg sowie in Bremen bis zu 24 Monate Zugang zu Weltraumtechnologien, fachlicher Beratung und technischen Einrichtungen. „Neben unserem Schwerpunkt, der technischen Beratung durch unsere Partner, bekommen die Unternehmen in unserem Programm einen Zuschuss in Höhe von 50.000 Euro. Außerdem profitieren sie von unserem großen Netzwerk und sie erhalten erleichterten Zugang zum Sonderflughafen Oberpfaffenhofen, Kontakte in die Politik und vieles mehr.“ Über mangelnde Nachfrage kann sich Thomas Ballatré nicht beklagen. Im Gegenteil: „Wir verzeichnen nicht nur eine hohe Anfrage, auch die Qualität der Ideen, mit denen die Bewerber zu uns kommen, ist sehr gut. Und was uns besonders freut ist, dass die jungen Unternehmen eine Überlebensrate von knapp 86 Prozent haben.“

Die ESA Business Incubation Centres sind in Deutschland außer in Bayern auch in Hessen, Baden-Württemberg und Bremen vertreten. Europaweit gibt es insgesamt 20 ESA BICs mit mehr als 60 Standorten. Die ESA und ihre Partner sind dabei aber nicht die einzigen, die Luft- und Raumfahrt Start-ups auf die Beine helfen.

Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt in seiner Funktion als Forschungseinrichtung Start-ups im Rahmen seiner Ausgründungsstrategie. Ziel ist dabei, Wissen aus dem DLR zur wirtschaftlichen Anwendung zu bringen. Daher werden auch externe Gründerinnen und Gründer unterstützt, sofern die Ausgründung auf einer der DLR-Technologien basiert. Mit seinem neuen Beteiligungskonzept will das DLR Spin-offs daher mit bis zu 500.000 Euro unter die Arme greifen, auch, wenn diese noch keine zahlenden Kunden vorweisen können. Darüber hinaus steht das DLR den Gründerinnen und Gründern bei der Geschäftsmodellentwicklung, der Vorbereitung relevanter Verträge oder auch der Vernetzung mit Investoren zur Seite.

Von Know-how, Kontakten und Infrastruktur hat auch das jetlite-Team profitiert, nachdem es am Airbus BizLab in Hamburg teilgenommen hat. „Nachdem wir im ersten Schritt die Ergebnisse meiner Doktorarbeit nochmals validiert hatten, haben wir darauf aufbauend die Beta-Version unseres Algorithmus' programmiert und in einem realitätsgetreuen Modell einer Flugzeugkabine getestet und weiterentwickelt“, sagt Dr. Achim Leder. Er ist davon überzeugt, dass sich für jetlite die Teilnahme gelohnt hat. Überhaupt ist für ihn und sein Team bisher alles rund gelaufen: „Wir haben ein gutes Netzwerk, viele Unterstützer und eine solide Finanzierung. Und wir haben sehr viel Glück gehabt. Das ist uns durchaus bewusst.“

Stand: Juli 2019