Universität Greifswald: Hauptgebäude Rubenowplatz

Universität Greifswald: Hauptgebäude Rubenowplatz

© Universität Greifswald /​ Till Junker

Regionaler Gründergeist ist auch auf dem Land zu finden und nicht nur in urbanen Metropolregionen, an denen sich Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten konzentrieren. Welche Herausforderungen müssen die unterschiedlichen Regionen in Deutschland für sich meistern? An den Beispielen Saarland und Mecklenburg-Vorpommern wird gezeigt, wie die lokalen Universitäten die regionalen Schwächen zu Stärken umgestalten.

In einer aktuellen Umfrage des Meinungsinstituts Statista sehen die Saarländer den Arbeitsmarkt mit 25 Prozent das größte Problem in ihrer Region. Darauf folgen die Pandemie und der Verkehr mit 21 bzw. 18 Prozent. Die Arbeitslosigkeit war und ist sicherlich ein wiederkehrendes Thema für die ehemalige Bergbau- und Stahlregion, die auf einen bewegten Wandel zurückblickt: Die Kohlekrise in den 1960ern und die Stahlkrise in den 1970er-Jahren zwang die Region zu großen Umwälzungen. Gleichzeitig ließ sich 1970 ein großer Automobilhersteller nieder und weitere, spezialisierte Zulieferfirmen folgten ihm. Einige Jahre später trugen eine aufkommende IT-Branche und der Dienstleistungssektor zum Strukturwandel bei.

Fehlen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen als Hemmschuh für Gründende

Doch heute fehlt es noch an mehr innovativen Wirtschaftsbereichen, die die Region zu einem Hub für Erfinder machen. Jens Krück, Abteilungsleiter und Geschäftsführer des Bereichs Unternehmensgründungen an der Universität des Saarlandes, erklärt: „Im Saarland gibt es unter anderem wenige große Unternehmen, die hier ihren Hauptsitz haben. Damit fehlen Forschungs- und Entwicklungs-, sowie Business-Development-Abteilungen, das ist für Gründende und Technologietransfer ein Hemmschuh.“

Universität des Saarlandes: Starterzentrum

Universität des Saarlandes: Starterzentrum

© Universität des Saarlandes

Der ländliche Raum, gezeichnet vom demografischen Wandel

Ähnlich einschneidend gestaltete sich auch der Wandel in Mecklenburg-Vorpommern. Als Teil der neuen Bundesländer kamen nach der Wende große Umstrukturierungen auf die Region zu. Der ländliche Bereich ist seitdem stark vom demografischen Wandel betroffen, verzeichnete teilweise eine erhebliche Abwanderung in die Städte und insgesamt eine Bevölkerungsschrumpfung. Aktuell beschäftigt die Küstenregion die Insolvenzen der Schiffswerften, der Stellenabbau in der Rostocker Industrie und die Krise der Fischerei. Das berichtet Steve Wendland, zentraler Transferreferent am Zentrum für Forschungsförderung und Transfer (ZFF) der Universität Greifswald.

Forschungskapazität auf relevante Themen für das östliche Mecklenburg-Vorpommern

Als kleinste deutsche Volluniversität konzentriert sie sich „mit ihrer Forschungskapazität auf Themen, die von großer Relevanz für das östliche Mecklenburg-Vorpommern sind,“ so Steve Wendland, „und versteht sich aus ihrer Forschungsstärke heraus als zentraler Motor und wesentlicher Innovationstreiber für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Region.“ Mit einem Fokus auf Themen wie etwa Daseins- und Gesundheitsversorgung, Bioökonomie, Nachhaltigkeit und One Health, einem Ansatz, der fachübergreifend das Thema Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt zusammendenkt, will die Universität den Herausforderungen in der ländlichen Region begegnen.

KI- und IT-Lösungen für die großen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenschutz

Über die regional-geprägten Schwerpunkte hinaus ist eine enge Zusammenarbeit mit anderen ansässigen Hochschulen unverzichtbar. Steve Wendland: „Neben dem erfolgreichen von der Universität Greifswald koordinierten Bioökonomie-WIR!-Bündnis ‚Plant³‘ wurde mit ArtIFARMArtificial Intelligence in Farming gemeinsam mit den Hochschulen Stralsund und Neubrandenburg ein weiteres WIR!-Bündnis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erfolgreich beantragt. Das Bündnis wird in den kommenden sechs Jahren Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Region durchführen, um der Landwirtschaft technische sowie KI- und IT-Lösungen für die großen Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenschutz zu bieten. Damit tragen die Hochschulen auch zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten und einem innovationsbasierten Strukturwandel in der Region bei.“

Mehr wissenschaftliche Ausgründungen

Das gemeinsam eingereichte Konzept der drei Hochschulen wird durch EXIST-Potentiale gefördert. Ziel ist es, in der Wissenschaftsregion NordOst, also im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern, die Zahl der wissenschaftlichen Ausgründungen zu erhöhen sowie die Gründung innovativer Start-ups zu bestärken. Durch die intensive Zusammenarbeit mit der WITENO GmbH – Wissenschafts- und Technologiepark NORD°OST°, der Gründungswerft und weiteren Akteuren im regionalen Gründungsökosystem entwickeln sich professionelle Strukturen für die Unterstützung und Förderung von Unternehmertum in der Region.

Enges Geflecht über Länder- und Bundesgrenzen hinweg

Auch die Universität des Saarlandes ist nicht nur rege vernetzt – mehr noch, die räumlichen Verflechtungen in der Region sind eng und erstrecken sich über Ländergrenzen hinweg nach Westen bis nach Frankreich und Luxemburg – mit der Universität Metz/Nancy und der Universität Luxemburg – sowie in die andere Richtung nach Rheinland-Pfalz. Neben der Zusammenarbeit mit der Hochschule Trier über einen gemeinsamen EXIST-Antrag gibt es gleichzeitig einen Austausch mit der der htw saar unter anderem im Bereich Gründungsunterstützung. „Wir in der Gründerberatung/Technologietransfer sind über die Initiative Denkfabrik sowie über TransferAllianz e.V., dem Deutschen Verband für Wissenschafts- und Technologietransfer, institutionell mit anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen vernetzt. Darüber hinaus gehen wir immer wieder direkt auf Hochschulen und Universitäten wie etwa Hannover, Ulm, Kiel, Kaiserslautern, und Koblenz-Landau zu, und suchen den Austausch,“ berichtet Jens Krück von der Universität des Saarlanes.

Fachbereich Informatik als attraktive Schnittstelle für externe Strukturen

Neben den Hochschulen hat die Universität auch eine Reihe hochrangiger Technologiepartner angelockt, die das Saarland als Forschungsregion mit den Schwerpunkten Informatik, Automotive und smarte Produktion, Life Science und Materialforschung etablieren sollen. Für die Uni selbst ist neben den Themen Europa und NanoBioMed besonders der Fachbereich Informatik eine attraktive Schnittstelle für externe Strukturen. Die Uni selbst hat dafür das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie den Studiengang Cybersicherheit eingerichtet. Daneben gibt es das Max-Planck-Institut für Informatik sowie das CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit. Auf dem Campus-Gelände entsteht bald auch ein neuer Schwerpunkt für intelligente Sensorik: Das neue Fraunhofer Center für Sensor-Intelligenz ist als Partnerschaft zwischen dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT und dem Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP geplant.

Kooperationsverträge mit Wirtschaftsförderern

Auf der anderen Seite pflegt die Technologietransferstelle der Universität des Saarlandes auch den Austausch mit regionalen Anschlussstellen wie Wirtschaftsförderern, Co-Working-Spaces und Ministerien. Jens Krück erklärt: „Beispielsweise haben wir mit Wirtschaftsförderern Kooperationsverträge, in denen wir festgelegt haben, dass Informationen geteilt werden, Beratungen mit Technologie-Start-ups und Veranstaltungen gegebenenfalls gemeinsam stattfinden.“

Projektbezogene Zusammenarbeit für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort

Ähnlich ist auch die Universität Greifswald in regionalen Netzwerken und Initiativen eingebunden, etwa als Gründungsmitglied von BioCon Valley, einem Netzwerk für Life Science (Biowissenschaft) und Gesundheitswirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem hat sie Kooperationsverträge mit weiteren regionalen Partnern unterzeichnet, so mit dem Landkreis Vorpommern-Greifswald und der IHK Neubrandenburg für eine Zusammenarbeit bei den Themen Transfer, Bildung und Regionalentwicklung. Durch eine projektbezogene Kooperation soll die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort gefördert werden. Zwei weitere regionale Partner sind die Michael Succow Stiftung und das Institut für Nachhaltige Entwicklung der Naturräume der Erde (DUENE e.V.). Mit diesen betreibt die Universität das Greifswald Moor Centrum. „Das Greifswald Moor Centrum ist als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis ein Vordenker und Gestalter in allen Moorfragen,“ erklärt Steve Wendland. Die Agenda des Centrums ist der Moor- und Klimaschutz sowie die Erhaltung von Biodiversität und Nachhaltigkeit.

So unterschiedlich beide Regionen auch sind, eines wird beim Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern deutlich: Eine starke Vernetzung im Hochschulverbund sowie ein enger Austausch mit regionalen Partnern ist ganz wesentlich für die Erstarkung der Regionen als hochspezialisierte Wissenschaftsstandorte mit den jeweiligen lokalen Schwerpunkten.

Stand: April 2022