Panorama New York City

Die Skyline von New York City.

© German Accelerator

„Aktuell haben wir zahlende Kunden in 17 Ländern, darunter in den USA, Australien, Neuseeland, China, Frankreich, Kanada und Barbados, die wir alle hier aus dem brandenburgischen Wildau beliefern. Das ist schon faszinierend, weil wir ja erst seit 2016 am Markt sind und diese Unternehmen dennoch viel Vertrauen in uns gesetzt haben“, sagt Kilian Moser. Er hat zusammen mit Dr. Katja Schulze und Dr. Ulrich Tillich die Oculyze GmbH gegründet. Das ehemals EXIST-geförderte Team entwickelt mobile Mikroskopielösungen mit integrierter Bildanalyse. Dank der Kombination aus Smartphone, cloudbasierter Bilderkennungssoftware und optischem Aufsatz, lassen sich mikroskopische Analysen ortsunabhängig durchführen lassen – ohne teure Geräte oder spezielles Mikroskopiewissen.

Born global or domestic market first?

Gründerteam Oculyze

Kilian L. Moser, Dr. Katja Schulze, Dr. Ulrich M. Tillich

© Oculyze GmbH

Dabei gehört Oculyze eigentlich gar nicht zu den typischen Born Globals. Die sind in der Regel ausschließlich digital unterwegs. „Nehmen Sie zum Beispiel die FinTechs, also Start-ups, die digitale Finanzdienstleistungen anbieten. Diesen Geschäftsmodellen liegt kein physisches Produkt zugrunde. Der Distributionsweg ist internetbasiert, so dass die Kundenpotenziale im Ausland relativ einfach erschlossen werden können. Die Internationalisierungsbarrieren für diese Unternehmen sind daher niedrig“, so die Erfahrung von Prof. Dr. Reinhard Meckl, Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Management an der Universität Bayreuth.

Wobei Start-ups wie Oculyze mit ihrem frühen Einstieg in den internationalen Markt eher die Ausnahme von der Regel sind. Dr. Gero Decker zum Beispiel, Geschäftsführer und Gründer der Signavio GmbH, ist davon überzeugt, „dass man zunächst im Heimatmarkt ein stabiles Geschäft aufbauen sollte. Immerhin muss man das Abenteuer ‚Ausland‘ vernünftig finanzieren können. Und wenn man zu Hause noch auf wackligen Beinen steht, verzettelt man sich zu sehr mit der Expansion.“ Dr. Gero Decker weiß, wovon er spricht. Als ehemaliges EXIST-Team haben er und seine drei Mitstreiter am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam einen Process Editor entwickelt, der dafür sorgt dafür, dass sich Mitarbeiter aktiv und Gewinn bringend in die unternehmensbezogene Prozessgestaltung einbringen können. Heute zählt Signavio mit Niederlassungen in Kalifornien, Singapur und Australien mehr als 150 Mitarbeitern weltweit zu den Global Playern. 

Dass sich für physische Produkte oder Verfahren der deutsche Markt für den Einstieg sehr gut eignet, kann Dr. Michael Brandkamp, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds (HTGF) nur bestätigen. Der HTGF finanziert Start-ups in der Frühphase und er macht sie fit fürs Ausland. „Letztlich hängt es von der Branche und dem konkreten Geschäftsmodell ab. Aber gerade im Maschinenbau, in der Sensorik, in der Umwelttechnik, im Energiebereich oder auch der Lasertechnologie und Chemie sind wir in Deutschland sehr stark. Das bedeutet, als junger Unternehmer kann man Partner finden, um Kooperationen aufzubauen, Testläufe durchzuführen und das Geschäftsmodell zu erproben.“
Porträt von Prof. Dr. Meckl

Prof. Dr. Reinhard Meckl

© privat

Keine Grenzen bei der Businessplanung

Doch auch, wenn sich Start-ups im ersten Schritt zunächst auf den deutschen Markt konzentrieren, sollten sie dabei dennoch über den nationalen Tellerrand schauen. Denn schließlich gehe es beim Thema Internationalisierung ja nicht nur darum, Kunden im Ausland zu gewinnen, so Prof. Dr. Reinhard Meckl: „Jedes Gründungsteam steht doch vor der Frage, welches Know-how und welche Ressourcen notwendig sind, um das Geschäftsmodell erfolgreich umzusetzen. Inwiefern gibt es also eventuell in anderen Ländern Mitarbeiter mit genau den Kompetenzen, die das Start-up braucht? Und welche Materialien und Werkstoffe stehen unter Umständen im Ausland in besserer Qualität oder zu günstigeren Preisen zur Verfügung?“ Gründungsteams, die erkennbar international denken, haben darüber hinaus in jedem Fall auch „gute Karten“, wenn die erste Finanzierungsrunde ansteht, ist Dr. Michael Brandkamp überzeugt. „Viele EXIST-geförderte Start-ups erhalten über uns die notwendige Anschlussfinanzierung.
In dem Rahmen können wir sie dann auch beim Aufbau ihrer Internationalisierungskompetenz unterstützen. Voraussetzung ist, dass die Teams bereit sind, ihr Geschäftsmodell und ihre Innovation entsprechend weiterzuentwickeln, und sie insgesamt für Auslandsaktivitäten aufgeschlossen
sind.“

Das bedeutet: Unter dem Strich muss heutzutage jedes Start-up länderübergreifend planen. EXIST-geförderte Hochschulen wie zum Beispiel die Technische Universität München sensibilisieren ihre Gründungsteams daher gezielt für das Thema Internationalisierung. Bei der UnternehmerTUM, dem An-Institut der Technischen Universität München, ist Sabine Mattern Projektleiterin für internationale Kooperationen. Warum sich das Gründungszentrum der TU München so sehr für die Internationalisierung seiner Start-ups einsetzt, erklärt sie so: „Viele Gründerinnen und Gründer denken, dass der deutsche Markt groß genug ist, um mit ihren Start-ups erfolgreich zu starten. Der weltweite Vergleich zeigt aber, dass Start-ups aus kleineren Ländern langfristig erfolgreicher sind als ihre Pendants aus Deutschland. Der Grund ist: Sie richten ihr Geschäftsmodell von vornherein auf den internationalen Markt aus. Aus unserer Sicht ist dieses Bewusstsein enorm wichtig – nicht nur vor dem Hintergrund einer zunehmenden weltweiten Digitalisierung, sondern auch, weil junge Unternehmen sonst Gefahr laufen, in ihrem Wachstumsprozess ausgebremst zu werden.“

Das Gute liegt oft nah

Bei der Frage, welche Länder sich für den Einstieg in den Auslandsmarkt besonders gut eignen, bietet die DACH-Region, also Deutschland, Österreich und die Schweiz, einen klaren Pluspunkt: Geschäfts- und Umgangssprache sind Deutsch. Und wenn man von der Schweiz absieht, ist der EU-Binnenmarkt insgesamt nicht nur als potenzieller Absatzmarkt interessant. Möglicherweise finden Start-ups in dem einen oder anderen EU-Mitgliedstaat sogar die notwendige Starthilfe, wenn es in Deutschland an geeigneten Geschäftspartnern fehlt.

Der High-Tech Gründerfonds kooperiert zum Beispiel eng mit europäischen Investoren. Und er unterstützt den grenzüberschreitenden Aufbau von Unternehmen, die dann zum Beispiel sowohl in Frankreich als auch in Deutschland verankert sind und so leichter bürokratische Hürden überwinden können.

Auch die Europäische Union möchte Gründerinnen und Gründer motivieren, ihre Fühler innerhalb des Binnenmarktes auszustrecken. Mit Erasmus for Young Entrepreneurs fördert sie mehrmonatige Aufenthalte in mittelständischen Unternehmen. Durch den engen Kontakt zu den gastgebenden Unternehmen erhalten die Gründer die Chance, den Markt eines EU-Mitgliedslandes ihrer Wahl intensiv kennenzulernen und womöglich erste Geschäftsbeziehungen zu knüpfen.

Unter dem Strich aber ist es gar nicht so selbstverständlich, dass Start-ups aus Deutschland die Vorteile des EU-Binnenmarktes nutzen und hier ihre ersten geschäftlichen Kontakte knüpfen. Im Gegenteil: Viele machen erst einmal einen Bogen um die europäischen Nachbarländer und peilen gleich die USA oder Asien an. Diese Erfahrung hat Dr. Michael Brandkamp vom High-Tech Gründerfonds gemacht: „Es ist schade, dass die unmittelbaren Nachbarländer von Deutschland nicht so attraktiv für Start-ups sind. Wenn wir junge IT-Unternehmen betrachten, die mit hochinnovativen Tools ein hohes Wachstum verzeichnen, dann gehen viele von ihnen zunächst in die USA oder nach Asien und erst danach in europäische Nachbarländer wie Frankreich, Italien oder auch nach Osteuropa. Der Grund dafür ist, dass die Regularien für den Eintritt in die europäischen Märkte sehr unterschiedlich sind und die Märkte anders ‚ticken‘. Allein die Fragen zu technischen Anforderungen oder den rechtlichen Rahmenbedingungen werden in jedem Mitgliedstaat anders beantwortet. Hinzu kommen die verschiedenen Sprachen. Im Verhältnis dazu ist der Aufwand für den Eintritt in den US-amerikanischen oder chinesischen Markt geringer. Dabei ist vor allem der amerikanische Markt aufgrund seiner Größe und Einheitlichkeit besonders lukrativ und stellt einen ganz großen Magneten dar.“

California Dreamin

Für Dr. Gero Decker von Signavio hat sich der Sprung über den großen Teich gelohnt: „Die USA ist mit Abstand der weltweit größte Markt für unsere Produkte. 2012 haben wir dort mit einem kleinen Team angefangen, dieses Jahr erweitern wir auf 20 Leute.“ Starthilfe hatte Signavio seinerzeit durch den German Accelerator, ein Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, erhalten. „Dank des Netzwerks des German Accelerators hatten wir beste Voraussetzungen, um Kollegen vor Ort zu finden und Gleichgesinnte zu treffen, die einen ähnlichen Schritt vollziehen.“ Das BMWi unterstützt mit dem German Accelerator deutsche Start-ups aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und den Life Sciences dabei, den US-amerikanischen Markt kennenzulernen. Immer wieder nehmen auch EXIST-geförderte Teams daran teil. Sie durchlaufen an den Standorten Boston/Cambridge, New York City oder Palo Alto/San Francisco ein umfangreiches mehrmonatiges Mentoring- und Coachingprogramm, lernen dabei ein Team von Serial Entrepreneurs, Experten und Kapitalgebern kennen und tauchen in die amerikanische Start-up-Szene ein.

Chancen nutzen in Südostasien

Eine ähnliche Unterstützung erwartet Start-ups auch in Südostasien. Der German Accelerator Southeast Asia (GASEA) mit Sitz in Singapur hat ein weitverzweigtes Netzwerk, das sich über alle südostasiatischen Länder erstreckt. Und genau die sind für Tech-Start-ups aus Deutschland besonders interessant. Die Gründe dafür kennt Claus Karthe, CEO beim GASEA: „Da gibt es mehrere Aspekte: Zunächst einmal ist Südostasien eine sehr wachstumsstarke Region. Es gibt eine relativ junge Bevölkerung, es gibt sehr viele Start-ups, die hier aktiv sind. Hinzu kommt, dass die Nutzung digitaler Medien sehr weit verbreitet ist und es ein enormes Interesse gibt, neue Dinge auszuprobieren. Vor allem Singapur bietet da ein tolles Umfeld, insbesondere weil sich Unternehmen hier in einem absolut rechtssicherem Raum bewegen können und es sehr einfach und kostengünstig ist, sich niederzulassen. Das hat letztlich auch dazu geführt, dass das BMWi den Standort Singapur ausgewählt hat und wir hier den German Accelerator Southeast Asia aufgebaut haben.“
Claus Juergen Herbert Karthe

Claus Juergen Herbert Karthe

© Claus Juergen Herbert Karthe

Neben der Unterstützung durch Mentoren und Fachberater sowie Kontakten zu Investoren, öffnen sogenannte Connector-Mentors den Teilnehmern des GASEA die Tür zu den Märkten in Thailand, Indonesien, Malaysia und den anderen ASEAN-Ländern. „In Asien ist es so, dass ganze Industriebereiche in der Hand von Familienunternehmen sind. Die haben eine Bank, ein Telekommunikationsunternehmen, eine Supermarktkette und was sonst noch alles. Das bedeutet, wir müssen unseren Start-ups Zugang zu diesen Unternehmen verschaffen, um ihnen den Zugang zum Markt zu ermöglichen. Und genau darum kümmern sich unsere Connector-Mentors“, so Karthe. Darüber hinaus können sich die Start-ups mit ihren Produkten kostenfrei auf Messen präsentieren, um mit inländischen Unternehmern in Kontakt zu kommen. In Thailand sind gerade die großen Unternehmen sehr an deutscher Technologie interessiert, so dass uns die thailändische Regierung vor Ort unterstützt und zum Beispiel kostenfreie Büroflächen zur Verfügung stellt.“

Das Bewerbungsverfahren für den GASEA ist einfach. Wichtig ist allerdings, dass das Management der Start-ups so aufgestellt ist, dass sich einer der Geschäftsführer für etwa fünf Monate in Asien aufhalten kann, ohne dass das Unternehmen Gefahr läuft, in eine Schieflage zu geraten. Und: Für den Aufenthalt muss - bei aller Förderung - ein Budget von circa 20.000 Euro für Kost und Logis vorhanden sein. Wenn dann auch noch das Produkt in Deutschland oder Europa bereits auf dem Markt ist, sind für Claus Karthe die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt. Seiner Erfahrung nach steht damit einer Teilnahme am German Accelerator Southeast Asia nichts mehr im Wege. 

Das Bewerbungsverfahren für den GASEA ist einfach. Wichtig ist allerdings, dass das Management der Start-ups so aufgestellt ist, dass sich einer der Geschäftsführer für etwa fünf Monate in Asien aufhalten kann, ohne dass das Unternehmen Gefahr läuft, in eine Schieflage zu geraten. Und: Für den Aufenthalt muss - bei aller Förderung - ein Budget von circa 20.000 Euro für Kost und Logis vorhanden sein. Wenn dann auch noch das Produkt in Deutschland oder Europa bereits auf dem Markt ist, sind für Claus Karthe die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt. Seiner Erfahrung nach steht damit einer Teilnahme am German Accelerator Southeast Asia nichts mehr im Wege.