Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin

© Andreas Heddergott / TUM

Die Technische Universität München (TUM) hat mit dem Munich Institute for Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) einen Bereich etabliert, der sich vorrangig mit der Erforschung der Grundlagen von Robotik und Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Der Inhaber des Lehrstuhls, Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin, erklärt, was durch intelligente Programmier-, Lern- und Interaktionssysteme in Zukunft zu erwarten ist und was Ziele und Herausforderungen sind.

Sie sind Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz an der Technischen Universität München. Was genau ist Ihr Lehrauftrag?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Unser Lehrangebot reicht von den methodischen und technologischen Grundlagen der intelligenten Robotik und des Maschinellen Lernens bis hin zu fortgeschrittenen Seminaren, Vorlesungen und Forschungspraktika. Unser Auftrag ist es, die Vielfältigkeit, aber auch die theoretische Tiefe des Fachs darzustellen sowie die komplexen, fächerübergreifenden Anforderungen zu vermitteln.

Wie werden die Kurse und Seminare angenommen?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Ein Großteil unserer Studierenden stammt aus den Bereichen Informatik, Elektrotechnik und Informationstechnik. Mein Lehrstuhl ist beiden Fakultäten zugeordnet, ein sogenanntes Double-Appointment. Prinzipiell sind die Kurse aber für alle Studiengänge offen, sofern sie zum Seminarplan der Studierenden passen oder die notwendigen Grundlagen vorhanden sind.

Wie ist die Geschlechterverteilung der Studierenden?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Heutzutage haben wir viel mehr Frauen als noch zu meiner Studienzeit. Das freut mich sehr, andererseits kann man von einer Gleichverteilung noch lange nicht sprechen. Gerade in den Bereichen Theorie und Methodik überwiegt der Männeranteil. Auch wenn es mein persönlicher Eindruck ist, glaube ich, dass wir gerade bei den Studentinnen die Risikoaversion verringern und den Mut, sich auf Dinge einzulassen, die ungewiss sind, noch mehr fördern müssen. Beides sind zentrale Aspekte in den eher mathematisch-techniklastigen Wissenschaften.

Wie sehen Sie die Etablierung des Themas KI im universitären Bereich? Wie ist der IST-Zustand? Was kann noch besser gemacht werden?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Wir haben gute Voraussetzungen geschaffen. Sowohl der Bund als auch Bayern haben zusätzliche Professuren etabliert und hier an der TUM gab es schon früh ein Bewusstsein dafür, dass bisherige Modelle in Forschung und Lehre so komplexen und zukunftsentscheidenden Themen wie der KI nicht mehr gerecht werden. Die integrativen Forschungsinstitute, zu denen auch das Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI), dessen Gründungsdirektor ich bin, gehört, verzahnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fakultäten und internationale Spitzenforschende.
Mit dem Department of Science, Technology and Society (STS) haben wir eine eigene Einrichtung, die sich mit ethischen, sozialen, politischen und rechtlichen Dimensionen von Wissenschaft und Technologie auseinandersetzt. Wir sind also auf einem guten Weg. Insgesamt schließe ich mich hier den Empfehlungen an, die auch von der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz des Bundestages gemacht wurden. Die Forschung in diesem Bereich wird unsere Zukunft und die Technologiesouveränität Deutschlands und Europas nachhaltig bestimmen, d.h. wir müssen schnell und noch viel stärker sowie flexibler investieren wenn Deutschland und Europa die Taktgeber in diesem Bereich werden sollen.

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die KI-Strategie der Bundesregierung?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Mit der KI-Strategie wurden in Deutschland zentrale Initiativen angestoßen und in einigen Bereichen auch umgesetzt. Dass hier eben nicht nur auf Wirtschaftswachstum und Produktivitätszuwächse fokussiert, sondern die gesamtgesellschaftlichen Aspekte von KI verdeutlicht werden, ist zentral. Genauso wie die Nachbesserungen Ende des letzten Jahres. Gerade die Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie viele Potenziale dieser Technologie wir aktuell nicht nutzen, aber so dringend gebrauchen könnten.

Was können wir als Gesellschaft in Zukunft von intelligenten Programmier-, Lern- und Interaktionssystemen erwarten und was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg dahin?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: In der Robotik entwerfen wir vor allem intelligente und vernetzte physische Systeme, die uns künftig mehr als nur den Alltag erleichtern sollen. Am MIRMI haben wir vier Themenschwerpunkte. Dazu zählen die Zukunft von Arbeit, Gesundheit, Mobilität und Umwelt. Das beinhaltet autonome, lernfähige Roboterwerkzeuge in Fabriken, die ich remote steuern und anleiten kann, intelligente Prothesen, die sich dem Körper anpassen und nicht umgekehrt, autonome Fahrzeuge, die ich jederzeit als Service nutzen kann, Drohnen, die in Echtzeit Umweltdaten erfassen und uns beim Klimamonitoring unterstützen, um nur jeweils ein Beispiel dieser vielfältigen Möglichkeiten zu nennen. Die größte Herausforderung wird sein, dass wir hier den Anschluss nicht verlieren. Gerade Anwendungen zu Hause oder im Gesundheitsbereich müssen den europäischen Vorstellungen einer vertrauenswürdigen und sicheren KI entsprechen.

Was sehen Sie als größte Hürden – speziell für deutsche Unternehmen – um sich auf diesem Sektor international zu positionieren?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Als Forscher sehe ich mit großer Sorge, dass wir nach wie vor zu langsam in der Förderung und vor allem in der Umsetzung neuer Technologien sind. In der Forschung ist es uns auch in den letzten 20 Jahren gelungen, Pionierarbeit zu leisten. Wenn es um die marktfähige Umsetzung dieser Entwicklungen ging, waren wir aber oft zu langsam. In der ersten Welle der digitalen Transformation haben uns die USA und China schlicht überholt. Das hat viele Gründe, z.B. fehlende digitale Infrastrukturen oder bürokratische Hürden. Insgesamt lässt sich sagen: Wir haben gute Ideen, Pläne und Konzepte, scheitern aber an einer flexiblen und zeitnahen Umsetzung. Was für etablierte Unternehmen gilt, ist für Start-ups eine noch größere Herausforderung. Hier müssen wir den Innovatoren mehr Autonomie einräumen und auch dafür sorgen, dass es viel mehr und wesentlich unbürokratischere Möglichkeiten zum Austausch zwischen Universitäten und Unternehmen gibt.

Wie schätzen Sie die Möglichkeiten für Absolventinnen und Absolventen der beteiligten Studiengänge ein, in diesem Bereich später ein eigenes Start-up zu gründen?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Die Möglichkeiten im Bereich intelligente Robotik sind schier unendlich. Wer kreative und gute Ideen hat und den notwendigen Fleiß und Ehrgeiz mitbringt, hat in diesem Bereich extrem gute Chancen, selbst zu gründen. Die Frage ist: Hat man ein wirklich gutes Produkt, das Menschen das Leben leichter macht und sie in Alltag und Beruf unterstützt, oder in der Industrie neue Produktivitätspotentiale freisetzt? Besonders spannend ist natürlich auch, wie Roboter in tragfähigen Geschäftsmodellen eingesetzt werden können, um den Klima- und Umweltproblemen unserer Zeit zu begegnen.

Sie selbst haben bereits erfolgreich Start-ups gegründet. Ihr Patent „Taktiler Roboter“ ist zudem seit 2015 der jüngste Eintrag in der Sammlung „Meilenstein made in Germany“ und zählt zu den 41 einflussreichsten Patenten seit 1877. Welchen Tipp können Sie jungen Gründungswilligen geben?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Gerade im Bereich DeepTech ist es tatsächlich eine große Herausforderung in Deutschland zu gründen, viel schwieriger als beispielsweise in den USA. Die Erfolgsaussichten sind zudem noch immer gering. Ich begrüße deshalb Initiativen wie EXIST, die sich dieser Problematik annehmen. Trotzdem muss man sich am Ende auf sich selbst verlassen und mit einer wirklich produktfähigen Idee und einem tollen Team gründen. Das schwierigste war sicherlich, ein Thema mit enorm hohem Investitionsbedarf und großem Risiko in Deutschland nicht nur zu gründen, sondern auch gegen viele Widerstände zu halten. Aber seitdem mein Patent in dieser Liste geführt wird, hat es sich gelohnt!

Sie sind auch Direktor des Munich Institute for Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) an der Technischen Universität München. Sie hatten zuvor Anfragen des MIT (Massachusetts Institute of Technology) und der Stanford University. Was hat Sie daran gereizt, Direktor des MIRMI zu werden?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Die Möglichkeit in München bzw. in ganz Bayern - wir haben ja auch einen Standort in Garmisch-Partenkirchen - etwas vollkommen Neues aufzubauen, hat mich gereizt. Die Region hat ein hohes Innovationspotenzial und ich glaube, dass wir hier wirklich etwas bewirken können. Zudem haben wir hier mittlerweile ein immer stärker werdendes, hervorragendes Ökosystem aus Spitzenforschungsinstituten und internationalen wie nationalen Technologiekonzernen. Auch die Politik hat unser Vorhaben unterstützt. Der Aufbau des MIRMI mit - im internationalen Vergleich - überschaubaren Mitteln, war und ist eine große Herausforderung, aber mittlerweile Heimat zukunftsweisender Leuchtturminitiativen wie der Geriatronik und der KI.Fabrik. Ich bin überzeugt, das ist erst der Anfang.

Im MIRMI beschäftigen Sie sich mit Robotern und maschineller Intelligenz. Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, um die beiden Felder zu vereinen?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Die meisten Entwicklungen und Diskussionen zur künstlichen Intelligenz beziehen sich auf rein datenanalytische bzw. kommunikationstechnische Aspekte. Wir sind vertraut mit Siri, Alexa und Google, diese Intelligenzen ohne Körper haben jedoch eine klare Grenze: die physische Welt, in der wir Menschen interagieren und uns bewegen. Hier braucht es einen Körper, also einen Roboter, ein Fahrzeug oder eine Drohne und uns beschäftigt die Frage, wie wir diese Systeme auf allen Skalen - also z.B. auch Mikro- oder Nanoroboter - dazu befähigen können, das zu leisten, was uns selbst so einfach erscheint: Dinge zu greifen, zu gehen oder zu fahren, dabei zu navigieren und mit Hindernissen umzugehen. Eine der größten Herausforderungen bleibt die Interaktion mit den Menschen in ihrer Umgebung. All dies müssen intelligente Maschinen können, wenn sie ein wirklich sinnvolles Werkzeug für den Menschen sein sollen.

Deutschland will sich im Bereich wissenschaftsbasierter Gründungen als Global Player positionieren. Dazu gehört auch eine internationale Teamzusammensetzung. Wie bereitet das MIRMI Gründungsteams auf den Markteintritt in internationale Märkte vor?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: International sind unsere Teams von Beginn des Studiums an, ebenso wie die Projektpartner aus der Industrie. Daraus gehen sicher Teams hervor, die für die EXIST Förderformate in Frage kommen. Um weitere Talente für uns zu gewinnen, betreiben wir zusammen mit UnternehmerTUM z.B. das TUM Venture Lab Robotik/AI im Munich Urban Colab. Das Venture Lab bietet Lehrveranstaltungen, Acceleratorprogramme, Räumlichkeiten, Infrastruktur sowie passende Events und Netzwerke für Gründerinnen und Gründer in einer frühen Phase an. Für fortgeschrittene Gründungsteams im Bereich intelligente Robotik ist außerdem der von uns gemeinsam mit dem TUM VL Robotik/AI entwickelte Inkubator robo.innovate 2021 an den Start gegangen, der sich an Gründende aus ganz Bayern richtet.

Was muss Deutschland tun, um den Anschluss an die Weltspitze im Bereich Forschung und Anwendung von Robotik und Künstlicher Intelligenz nicht zu verlieren?

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin: Bedarf sehe ich vor allem in der nutzungsorientierten Grundlagenforschung (Use-inspired Basic Research). Um einen Prototypen hin zu wirklich nützlichen und sicheren Anwendungen weiterzuentwickeln, brauchen wir flexiblere und teilweise viel höhere Mittel als üblich. Häufig fehlt es auch an realitätsgetreuen Testmöglichkeiten. Die Forschenden sind oft in Strukturen eingebettet, die aus Entwicklungs- und Innovationsperspektive wenig sinnhaft erscheinen. Wir müssen gerade im Bereich KI und intelligente Robotik viel mehr ergebnisorientierte, aber offene Forschung ermöglichen. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass die Robotik die nächste digitale Revolution sein wird. Wir haben hier wirklich eine Chance, diese Technologie nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Da müssen wir international mithalten. Das heißt vor allem: schneller sein, bürokratische Hürden abbauen und die Menschen bei dieser Entwicklung mitnehmen.

Stand: Januar 2022