Thomas Doppelberger, Fraunhofer Venture

Thomas Doppelberger, Fraunhofer Venture

© Fraunhofer-G

Aus Forschungsergebnissen marktfähige Produkte entwickeln. Das ist durchaus auch ein Thema für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Beispiel: die Fraunhofer-Gesellschaft. Mit ihren 74 Instituten ist sie europaweit führend im Bereich der angewandten Forschung. Was weniger bekannt sein dürfte ist, dass allein in den letzten fünf Jahren über 130 Start-ups aus den Fraunhofer-Instituten hervorgegangen sind. Sie haben sich mit Unterstützung von Fraunhofer Venture, der zentralen Anlaufstelle für gründungsinteressierte Forschungsteams, zu erfolgreichen Unternehmen entwickelt. Thomas Doppelberger, Leiter von Fraunhofer Venture, berichtet im folgenden Interview über den Gründergeist in der Fraunhofer-Welt.

Herr Doppelberger, welche Rolle spielen Ausgründungen bei der Fraunhofer-Gesellschaft?
Doppelberger: Das Thema „Ausgründungen“ hat in den letzten Jahren sowohl aufgrund der politischen Rahmenbedingungen als auch aufgrund des zunehmenden Interesses unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung gewonnen. Insofern ist die Gründung von Start-ups mit dem Ziel, die von ihnen entwickelten Forschungsergebnisse in den Markt zu bekommen, für die Fraunhofer-Gesellschaft ein wichtiges strategisches Element im Rahmen des Technologietransfers.

Das heißt, Ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern können sich durchaus mit einer Karriere als Unternehmerin oder Unternehmer anfreunden?
Doppelberger: Ja, durchaus. Das wird bei Fraunhofer als Karriereoption sogar immer mitkommuniziert - schon bei der Gewinnung von Mitarbeitenden. Wir suchen also nicht nur guten wissenschaftlichen Nachwuchs, sondern auch Kolleginnen und Kollegen, die sich vorstellen können, zu einem späteren Zeitpunkt ein Start-up zu gründen. Das wird bei Fraunhofer positiv gesehen und nachhaltig unterstützt.

Wie sieht diese Unterstützung aus?
Doppelberger: Mit Fraunhofer Venture gibt es einen zentralen Ansprechpartner für alle gründungsinteressierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der 74 Fraunhofer-Institute. Wir beraten zu allen betriebswirtschaftlichen und juristischen Fragestellungen, die es im Kontext einer Gründung gibt und sind Sparringspartner für unsere Gründungsteams. Dabei unterstützen wir die Gründerteams immer im Tandem, dazu gehören ein Betriebswirt bzw. Investment-Manager und ein Jurist. Beide sind für eines oder mehrere unserer Institute zuständig und unterstützen die Teams vor Ort von der Idee, über die Business- und Geschäftskonzepterstellung bis hin zur Gründung.

Abgesehen davon moderieren wir zwischen der Fraunhofer-Gesellschaft und den Gründungsteams, wenn es um Fragen des Personalübergangs, Zugang zu Intellectual Property, Forschungsergebnissen und Infrastruktur, wie Räumen, Anlagen usw. geht. Wir sehen uns da gemeinsam mit den Gründungsteams als Company Builder und bringen die notwendigen Bausteine zusammen.

Fraunhofer Venture bietet auch ein eigenes Förderprogramm an.
Doppelberger: Ja, dabei handelt es sich um unser Transferförderprogramm AHEAD. Nach einem viertägigen Bootcamp startet die erste sechsmonatige Phase, in der die Gründungsteams bis zu 50.000 Euro erhalten. Die zweite Phase dauert 18 Monate und beinhaltet eine individuell angepasste Förderung. Damit erhalten die Gründungsteams ausreichend Freiraum, um an ihrem Geschäftskonzept oder Business- und Transfermodellen zu arbeiten – ähnlich wie bei EXIST. Im Anschluss an die Gründung können wir den Kontakt zu geeigneten Frühphasen-Investoren herstellen. Gegebenenfalls beteiligt sich auch die Fraunhofer-Gesellschaft an den jungen Unternehmen, um erfolgsversprechende Geschäftskonzepte erfolgreich am Markt zu etablieren. In diesem Fall nehmen wir die Gesellschafterrechte für Fraunhofer wahr.

Sie haben EXIST erwähnt. Welche Rolle spielt EXIST-Forschungstransfer für die Gründungsteams?
Doppelberger: Eine wichtige Rolle. EXIST-Forschungstransfer bietet den Teams die Möglichkeit, ihre Entwicklungsarbeiten abzuschließen, solange sie noch in der Fraunhofer-Welt sind. Wenn das Unternehmen während der Phase I oder im Anschluss gegründet wird und dann in der zweiten Phase einen weiteren finanziellen Anschub erhält, ist das für viele Ausgründungen eine ganz entscheidende Hilfe.

Wie sieht es denn mit dem Gründungsinteresse insgesamt aus?
Doppelberger: Das Gründungsinteresse bei den Nachwuchswissenschaftlern – es sind ja meist die jüngeren Kollegen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen – nimmt zu. Das muss man wirklich sagen. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass das Thema Entrepreneurship an vielen Universitäten mittlerweile auch in den ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle spielt und sogar gelehrt wird, sodass auch von einer außeruniversitären Forschungseinrichtung wie der Fraunhofer-Gesellschaft erwartet wird, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Wie viele Ausgründungen gab es in den letzten Jahren bei Fraunhofer? Gab es bestimmte Branchen- oder Technologieschwerpunkte?
Doppelberger: Fraunhofer Venture hat in den letzten fünf Jahren pro Jahr etwa 25 bis 30 Ausgründungen betreut. Tendenz leicht steigend. Dabei ist das Ausgründungsgeschehen bei Fraunhofer so bunt und breit gefächert wie die Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Das heißt, Ausgründungen finden in allen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen statt, die die Fraunhofer Gesellschaft im Rahmen ihrer 74 Institute verkörpert. Nichts destotrotz gibt es natürlich ein paar Schwerpunkte. Dazu gehören erneuerbare Energien, Clean-Tech und die Informations- und Kommunikationstechnologien. Wir haben allein 16 Institute, die sich im Bereich der IKT bewegen, und auch bei anderen Instituten spielt das Thema zum Beispiel in der Prozessautomatisierung oder der Produktionstechnik eine große Rolle.

Worin bestehen Ihrer Erfahrung nach die besonderen Anforderungen an eine wissenschaftsbasierte Ausgründung?
Doppelberger: Eine ganz wesentliche Herausforderung für eine wissenschaftsbasierte Ausgründung ist die Marktfähigkeit des Produkts. Worin besteht eigentlich das Produkt oder die Dienstleistung, das die Ausgründung anbietet? Da besteht oft eine relativ große Lücke zwischen dem Forschungsergebnis und dem Produkt, das am Ende des Tages am Markt verkauft werden soll. Wir legen aber viel Wert darauf, dass das Geschäftskonzept so aufgestellt ist, dass die jungen Unternehmen relativ zeitnah am Markt erste Umsätze generieren können. Vielleicht kann man das neudeutsch als Technology Readiness Level bezeichnen. Wir wollen also keine Prototypen oder Demonstratoren vermarkten, sondern relativ weit fortgeschrittene Technologien, die am Markt Wirkung erzielen. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dann schafft man es auch relativ einfach, externe Partner zum Beispiel für Frühphaseninvestments zu motivieren. Ich glaube, das ist die größte Herausforderung: Aus dem Forschungsergebnis ein marktfähiges Produkt zu entwickeln.

Stand: November 2020