MotionMiners GmbH

v.l.n.r.: Sascha Kaczmarek, Dr.-Ing. Sascha Feldhorst und Dr.-Ing. René Grzeszick

© MotionMiners GmbH

Kurzinfo:

MotionMiners GmbH
Gründer: Dr.-Ing. Sascha Feldhorst, Dr.-Ing. René Grzeszick, Sascha Kaczmarek
Gründung: 2017
EXIST-Forschungstransfer: 2017 – 2019
Forschungseinrichtung: Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) Gründungsnetzwerk: Fraunhofer Venture und CET Centrum für Entrepreneurship & Transfer an der Technischen Universität Dortmund
www.motionminers.com

Interview mit Dr.-Ing. Sascha Feldhorst und Dr.-Ing. René Grzeszick

In vielen Industrieunternehmen werden bestimmte Aufgaben immer noch per Hand ausgeführt. Aber was genau passiert während dieser manuellen Arbeitsprozesse? Das Gründungsteam der MotionMiners GmbH hat ein Verfahren entwickelt, das jeden Arbeitsschritt genau analysiert. Die Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) hat mit Hilfe von EXIST-Forschungstransfer den Sprung auf den Markt geschafft.

Herr Feldhorst, MotionMiners bietet eine automatische Analyse manueller Prozesse an. Können Sie das näher erklären?
Dr.-Ing. Feldhorst: Der Hintergrund ist, dass Unternehmen zwar wissen, wie viele Materialien und Manpower in ihre manuellen Arbeitsprozesse einfließen und wie das Ergebnis aussieht. Aber was genau während dieser Prozesse im Detail passiert, ist nur in groben Zügen bekannt. Nehmen Sie zum Beispiel den Bereich der Kommissionierung: Das Unternehmen weiß, welche Mitarbeiter die gewünschten Artikel aus den Regalen holen und für den Kundenversand zusammenstellen. Um dies zu erledigen, müssen die Mitarbeiter zum Regal gehen oder mit dem Gabelstapler fahren, das Regal ansteuern, die Ware greifen, ablegen usw. Jeder Vorgang besteht also aus einer Vielzahl kleinster Teilaufgaben und Bewegungsabläufe. Wer dieser Abläufe optimieren möchte, braucht dazu aussagekräftigen Daten. Das gilt natürlich auch für manuelle Arbeitsprozesse in der Produktion, wie zum Beispiel in der Automobilindustrie.

Herr Grzeszick, das hört sich so an, als ob die Geschäftsleitungen bisher kaum Einblick in diese Prozesse haben.
Dr.-Ing. Grzeszick: Doch, das schon, aber das Ergebnis sind meist nur Momentaufnahmen oder theoretische Annahmen. Die heutzutage weit verbreitete Arbeitsablauf-Zeitanalyse bzw. Methods-Time Measurement beruht zum Beispiel auf standardisierten Bewegungsabläufen, wie beispielsweise Gehen, Greifen, Loslassen und damit verbundenen festgelegten Zeiteinheiten. Sie bieten aber nur eine Orientierung und haben nicht zwangsläufig etwas mit den tatsächlich im Betrieb anfallenden Bewegungsabläufen und den damit verbundenen Zeitaufwänden zu tun. Eine weitere Möglichkeit ist die Durchführung einer REFA-Studie, bei der sich ein Prozessingenieur einen Tag lang mit Stoppuhr und Tablet neben die Mitarbeiter stellt und festhält, was sie wo und wann gemacht haben. Letztlich gewinnt man dadurch aber nur einen punktuellen Einblick in den Arbeitsprozess.

Und was machen Sie anders?
Dr.-Ing. Feldhorst: Wir bieten mit unserer Motion-Mining®-Technologie eine automatische Analyse von manuellen Prozessen an. Wir benötigen etwa einen Tag, um unsere Sensoren und Funksender an der Umgebung und den Hilfsmitteln anzubringen. Zudem geben wir den Mitarbeitern tragbare Sensoren mit. Am nächsten Tag kann dann mit der Messung begonnen werden. Wobei die Dauer des Messzeitraums vom jeweiligen Arbeitsprozess abhängt. In der Regel sind es ein bis zwei Wochen. Anschließend werten wir die Daten mit Hilfe unserer Software aus. Wir ermitteln dabei sowohl ergonomische Kennzahlen, wie zum Beispiel systematische Körperbelastungen als auch Effizienzkennzahlen, die zum Beispiel auf unnötige Wartezeiten innerhalb der Prozesse hinweisen.

Sie sind erst seit einem Jahr auf dem Markt, sind aber schon ziemlich erfolgreich.
Dr.-Ing. Grzeszick: Ja, wir haben seit unserer Gründung bereits 13 Kundenaufträge im Automobilbau, der Instandhaltung von Zügen, bei Logistikdienstleistern und in der Pharmabranche abgeschlossen. Unsere ursprüngliche Zielsetzung, bis Ende 2019 sechs Pilotprojekte umzusetzen, haben wir damit deutlich übertroffen. Darauf sind wir wirklich stolz. Und natürlich haben wir dadurch sehr viel gelernt und erste Umsätze erzielt.

Abgesehen davon haben wir bereits eine Reihe von Auszeichnungen erhalten. Wir haben zum Beispiel in diesem Jahr den Hauptpreis beim Gründerwettbewerb - Digitale Innovationen gewonnen. Diesen Rückenwind wissen wir sehr zu schätzen und versuchen das Beste daraus zu machen.

Wie haben Sie es geschafft, dass Sie in einem so frühen Stadium bereits so viele Kunden haben?
Dr.-Ing. Feldhorst: In der Industrie läuft viel über Netzwerkkontakte. Dabei kommt uns auch das Fraunhofer-Netzwerk zugute. Wir gehen auf Messen oder Fachkongresse und wenn wir die Möglichkeit dazu bekommen, halten wir auch Vorträge. Außerdem verfügen Großunternehmen und Konzerne heutzutage alle über Innovationsabteilungen mit eigenen Budgets. Die haben ein großes Interesse daran, mit Start-ups zusammenzuarbeiten. Trotzdem kann es extrem lange dauern, bis man an den richtigen Ansprechpartner gerät. Aber dann geht das eigentliche Doing recht schnell. Langsam wird es erst wieder, wenn es an das Begleichen der Rechnung geht. Das kann für ein junges Unternehmen ohne Rücklagen schon eine gewisse Herausforderung sein, die man daher am besten von vorne herein einkalkulieren sollte.

Sie haben den Sprung aus der Wissenschaft ins Unternehmertum gewagt. Wie war die Landung?
Dr.-Ing. Feldhorst: Ich würde sagen, gut. Als Unternehmer muss man sich sehr viel breiter aufstellen als in der Wissenschaft, wo man ausschließlich mit einem bestimmten Themengebiet beschäftigt ist. Jetzt müssen wir uns fast jeden Tag mit neuen Dingen und Herausforderungen beschäftigen, und das macht natürlich auch Spaß. Meistens jedenfalls. Und das ist, glaube ich, das Wichtigste.

Dr.-Ing. Grzeszick: Das würde ich auch so sehen. Hinzu kommt: Anders als in der Wissenschaft erhalten wir viel schneller Rückmeldungen. Wenn man einen Forschungsantrag schreibt, wartet man manchmal ein Jahr darauf, bis man weiß, ob man loslegen kann. Die Wirtschaft ist schnelllebiger. Man führt ein Projekt durch und erhält direkt ein Feedback. Außerdem sind die Rückmeldungen oft positiver. In der Wissenschaft ist man ja sehr darauf getrimmt, immer das Haar in der Suppe zu finden und zu schauen, wo es noch etwas zu verbessern gibt. Dass mal jemand Danke sagt, kommt da eher selten vor. Insofern machen wir da jetzt ganz schöne Erfahrungen.

Gibt es unternehmerische Aufgaben oder Herausforderungen, die Ihnen bei allem Erfolg doch etwas zu schaffen gemacht haben?
Dr.-Ing. Feldhorst: Ein spannendes Thema ist die Mitarbeitergewinnung. Wir arbeiten in einem Themenfeld, das bei großen Unternehmen momentan sehr gefragt ist. Da werden hohe Gehälter bezahlt. Die kann man als Start-up nicht bieten, also muss man mit anderen Themen überzeugen.

Welche Themen meinen Sie?
Dr.-Ing. Feldhorst: Wir bieten sehr viel Gestaltungsspielraum an. Das bedeutet, wir haben keine festen Strukturen und bieten jede Menge Flexibilität. Unsere Mitarbeiter haben die Möglichkeit, sich selbst ihren Platz „im Bus“ zu suchen und ihre Ideen einzubringen. Diese Aufbruchstimmung schafft insgesamt einfach ein ganz besonderes Klima und ist für den einen oder anderen, der einen Job sucht, sehr attraktiv.

Wie sehen Ihre zukünftigen unternehmerischen Ziele aus?
Dr.-Ing. Grzeszick: In 2019 möchten wir unser Portfolio um die sogenannte Manual-Process-Intelligence, MPI, erweitern. Das MPI versetzt die Kunden in die Lage, die Prozessanalysen nach Bedarf selbständig an einem oder mehreren Standorten durchzuführen.

Hätten Sie auf Grund Ihrer bisherigen Erfahrungen einen Tipp für andere EXIST-geförderte Gründungsteams?
Dr.-Ing. Feldhorst: Technologiegetriebenen Start-ups würden wir empfehlen, so früh wie möglich mit potenziellen Kunden zusammenzuarbeiten, beispielsweise in Pilotprojekten. Damit lässt sich am besten feststellen, welche Anforderungen der Kunde an das Produkt hat. Einer unserer Mentoren sagte immer, dass uns die erste Version des Produktes ruhig peinlich sein darf. Viel wichtiger ist es, daraus zu lernen.

Die Entwicklungszyklen sollten nicht zu lang sein, anderenfalls besteht das Risiko, dass man zu lange in die falsche Richtung läuft, ohne es zu merken. Wir haben oft Dinge wieder verworfen, weil sie in der Praxis einfach nicht so gut funktioniert haben wie gedacht.

Dr.-Ing. Grzeszick: Ich glaube, wenn man ein junges Unternehmen hat, genießt man einen gewissen Welpenschutz. Wir sagen potenziellen Kunden zum Beispiel, dass wir ihnen erst einmal einen Prototyp zur Verfügung stellen. Der hat vielleicht noch den einen oder anderen Fehler, aber man kann ihn schon einsetzen. Das geht nicht bei jedem Kunden, da muss man schon ein gewisses Gespür haben. Aber insgesamt bringt dieses Vorgehen sehr viel.

Ein weiterer Punkt, den wir empfehlen: Man muss sich immer wieder hinterfragen. War der Kunde wirklich zufrieden? Waren wir zufrieden? Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, darüber offen und ehrlich zu sprechen. Wir sind auch schon mal zu einem Kunden nach einer Endpräsentation gegangen und haben gesagt, unsere Leistung hat uns selbst nicht überzeugt – wir würden gerne nachbessern. Das kam sehr gut an.

Stand: Dezember 2018