Symbolbild KI - Laptop AI controls & Robotics

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Als Querschnitttechnologie findet Künstliche Intelligenz (zukünftig) in nahezu allen Branchen Anwendung. Kein Wunder, dass die Technologie bei 43 Prozent der vom Bundesverband Deutsche Startups befragten jun­gen Unternehmen einen klaren Einfluss auf das Geschäftsmodell hat. Meist geht es dabei um B2B-Lösungen, also technische Anwendungen in Produktion, Vertrieb und Logis­tik von Unternehmen.

Zu wenige KI-Start-ups in Deutschland

So weit, so gut. Nur: Seit 2020 stagniert die Zahl der KI-orientierten Start-ups – nicht nur wegen Corona. Dies ist das Ergebnis der Studie „Startups und Künstliche Intelligenz“, die der Startup-Ver­band im Herbst 2021 herausgegeben hat. Demnach sind die Standortbedingungen für derartige Neu­gründungen in vielen Ländern deutlich besser als in Deutschland. Hinzu komme die Dominanz internationaler Konzerne, die über enorme Daten­mengen verfügen, dadurch klare Wettbewerbsvor­teile haben und hiesige KI-Start-ups so vor große Herausforderungen stellen.

Eine vom Bundeswirtschaftsministerium beauf­tragte Studie zu den KI-Potenzialen im produzie­renden Gewerbe bewertet die geringe Zahl an Aus­gründungen aus dem Wissenschaftssystem denn auch als zentrale Schwachstelle.  Nicht zuletzt deshalb hat die Bundesregierung ihre KI-Strategie im Jahr 2020 noch einmal angepasst. Demnach sollen der Anteil KI-basierter Ausgrün­dungen deutlich steigen und Transfermaßnahmen für Start-ups und Mittelstand gefördert werden.

Hochschulen: Wichtige Player bei der Förderung von KI-Gründungsteams

„Es ist schön zu sehen, dass KI als Querschnitttech­nologie mehr und mehr an Schwung gewinnt und in verschiedenen Industriezweigen Einzug hält“, sagt Thomas Neumann, Leiter der KIT-Gründer­schmiede am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Dort sind allein in 2021 zehn Ausgründungen an den Start gegangen, bei denen KI eine wichtige Rolle im Geschäftsmodell spielt. Dafür hat nicht zuletzt auch die KI-Garage gesorgt, an der das KIT zusammen mit den Universitäten Mannheim und Heidelberg seit 2021 beteiligt ist. Das von der Baden-Württemberg Stiftung gGmbH initiierte Projekt fördert KI-Gründungsvorhaben und ermöglicht etablierten Unternehmen den Zugang zu neuen wissenschaftsbasierten Lösungen.

Ähnliches verfolgen auch die Technische Universi­tät München und das europaweit größte Gründungs- und Innovationszentrum, die UnternehmerTUM, mit ihren Venture Labs. Gründungsinteressierte Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierende finden dort die notwendige technische und soziale Infrastruktur, erhalten das notwendige Entrepreneurship-Know-how und haben die Möglichkeit, sich mit Bran­chenkennern zu vernetzen. Zwei der insgesamt elf Venture Labs widmen sich dabei explizit dem Thema Künstliche Intelligenz bzw. Artificial Intelligence (AI).

KI-basierte EXIST-Teams in 2022

Auch die TU Dortmund betritt beim Thema KI-Start-ups kein Neuland. Seit 2018 ist die TU Dortmund Konsortialführer des Kompetenzzent­rums Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr ML2R. Es ist eines von sechs Knotenpunkten zu Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen, das durch das Bundesforschungsministerium gefördert wird. Ziel ist es u. a., kleine und mittelständische Unter­nehmen mit Machine-Learning-Technologien ver­traut zu machen, um sie dann erfolgreich in der Praxis einzusetzen.

Gefragt: KI-Expertinnen und -Experten

„Ein zentraler Baustein für die Stärkung der Gründungsdynamik ist der Ausbau der KI-Ausbildung und -Forschung“, stellt der Bundesverband Deut­sche Startups in seiner KI-Studie fest. Demnach steht Deutschland – ebenso wie Frankreich – mit bisher 19 Bachelor- und 106 Master-Studiengängen im KI-Bereich schlecht da.

KI-Studiengänge in ausgewählten Ländern

Mit der Einrichtung zusätzlicher Professuren sei es aber nicht getan, ist Dr. Stefan Michaelis, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums ML2R, überzeugt. Wichtig sei, schon während des Informatikstudiums für den unternehmerischen Mindset zu werben. 

Herausforderungen für KI-Gründungsvorhaben angehen

Jedes Start-up steht vor der Herausforderung, für das notwendige fachliche und unternehmerische Know-how in seinem Team zu sorgen. KI-Start-ups stehen darüber hinaus aber noch vor weiteren Herausforderungen. Vor allem dafür brauchen sie den entsprechenden Support durch ihre Hochschulen.

Herausforderung: Zugang zu Daten

Künstliche Intelligenz basiert auf sehr großen Datenmengen. Wer an einer KI-Lösung im B2B-Bereich arbeitet und wissen möchte, ob seine Idee funktioniert, ist daher auf umfangreiche Datensätze angewiesen. Kein leichtes Unterfangen, schließlich gehen Unternehmen – aus nachvollziehbaren Gründen – vorsichtig mit ihren Daten um und bieten Dritten nur ungern Einblicke. Noch schwieriger ist es im B2C-Bereich, so Dr. Stefan Michaelis: „B2C funktio­niert meistens über eine schnell wachsende und sehr große Anzahl von Kundinnen und Kunden und deren persönliche Daten. Kunden werden aber nur dann ihre Daten zur Verfügung stellen, wenn das Angebot einen deutlichen Mehrwert für sie beinhaltet. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Dieser Mehrwert zeigt sich in der Regel erst dann, wenn eine ausreichend große Zahl an Kundinnen und Kunden existiert. Deswegen ist im B2C-Bereich diese kritische Größe zur Datenge­winnung eine ganz besondere Herausforderung.“

Herausforderung: Zugang zu Rechenleistung

Eng verbunden mit der Frage der Datenmengen ist auch die Frage der Rechenleistung. Die Arbeit an und mit KI ist auf hohe Rechenleistungen ange­wiesen. Die kosten Geld. Insofern stellt sich sowohl für die Hochschulen als auch für die Gründungsteams die Frage der Finanzierung. Wenn es nach der KI-Strategie der Bundesregierung geht, sollen zukünftig daher nicht nur mehr Daten bereitgestellt werden. Die systematische digitale Bereitstellung von Daten soll gefördert, die KI-Kompetenzzentren langfristig gestärkt und mit der regionalen Wirtschaft in Anwendungshubs verzahnt werden.

Herausforderung: Mehr Kontakt zum Mittelstand

„Wir machen auch heutzutage noch die Erfahrung, dass gerade der Mittelstand teilweise immer noch nicht bereit ist bzw. schwerlich einschätzen kann, für welche Einsatzzwecke Künstliche Intelligenz im eigenen Unternehmen eingesetzt werden kann und welche Vorteile sich daraus ergeben könnten. Das liegt zum einen an der Belastung durch das Tagesgeschäft, zum anderen aber auch daran, dass Deep-Tech-Themen wie KI nicht von heute auf morgen zu erklären sind“, sagt Thomas Neumann. Für den Leiter der KIT-Gründerschmiede ist ganz klar, dass hier die Gründungsteams gefordert sind. Sie können diese Übersetzung von der Wissenschaft in die Wirtschaft leisten. Und die Hochschulen sollten dabei helfend zur Seite stehen.

Nicht zuletzt aus diesem Grund hat das KIT zusam­men mit der Hochschule Karlsruhe, den Universi­täten Heidelberg und Mannheim im Jahr 2022 den DeepTech Hub SouthWest (DTH) eröffnet. Durch die Kooperation auf Augenhöhe möchten die fünf Einrichtungen ihren Teams, Investoren und Unter­nehmen eine übersichtliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglichen.

Die Vernetzung von Gründungsteams, Wirtschaft und Hochschulen haben sich übrigens auch die vier Modellprojekte für mehr KI-Gründungen auf die Fahnen geschrieben. Unter dem Dach von EXIST und finanziert vom Bundeswirtschaftsministerium sind sie im Herbst 2021 in Hamburg, München, Darmstadt und Berlin an den Start gegangen.

Herausforderung: Wachstumsfinanzierung

Dabei haben KI-Start-ups hierzulande nicht allein mit zögerlichen Anwendern aus der Wirtschaft zu tun. „Überrascht hat mich, dass KI-Start-ups in Deutschland beim Thema Finanzierung immer noch mit größeren Problemen konfrontiert sind, obwohl sich die Finanzierungssituation im Start-up-Ökosystem generell sehr stark verbessert hat“, sagt Dr. Alexander Hirschfeld zu den Ergebnissen der Studie „Startups und Künstliche Intelligenz“. Für ihn ein klarer Hinweis darauf, dass in Deutsch­land im Investmentbereich und in der etablierten Wirtschaft das Thema Deep Tech immer noch nicht hinreichend angekommen ist. Zum Ver­gleich: Laut Studie des Start-up-Verbandes wird in den USA im Vergleich zu Deutschland aktuell pro Kopf das 10-Fache, in Israel sogar das 19-Fache in KI-Start-ups investiert. In Europa können KI-Start-ups dagegen aufgrund von zu wenig Wagniskapital in diesem Sektor ihr Wachstumspotenzial kaum ausschöpfen.

Investments in KI-Start-Ups

Es besteht also noch deutlicher Handlungsbedarf. Im Unterschied übrigens zur Frühphasenfinanzie­rung, die – ebenfalls im Rahmen der KI-Strategie – deutlich aufgestockt wurde. So hat das Bundeswirt­schaftsministerium das EXIST-Programm sowie den German Accelerator bis Ende 2024 um insge­samt rund 46,5 Mio. Euro erhöht, um damit gezielt Start-ups mit KI-basierten Geschäftsmodellen zu unterstützen.

Darf KI alles, was sie kann?

Neben all den speziellen Herausforderungen gibt es noch ein weiteres Thema, das eng mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz verbunden ist: 81 Prozent der vom Bundesverband Deutsche Startups befragten Unternehmerinnen und Unternehmer sind der Ansicht, dass ethische Fragen bei der Ent­wicklung der Technologie berücksichtigt werden müssen. Das sieht auch Dr. Stefan Michaelis so: „Das Thema KI und Ethik ist in der Forschung ein sehr großes Thema, weil KI in persönlich kritische Bereiche eindringt. Wenn es um Medizin-, Rechts­daten oder andere personenbezogene Daten geht, müssen die Algorithmen dafür nachvollziehbar sein. Das ist ein Problem, dem sich ein Start-up stellen muss.“

Das sagen KI-Start-ups zu Ethik und Regulierung

Eine ungleich wichtigere Rolle wird dabei auch die Gesetzgebung auf EU-und internationaler Ebene spielen. So weist die KI-Strategie der Bundesregie­rung auf die Notwendigkeit eines neuen Ord­nungsrahmens hinsichtlich Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit von KI-Anwendungen hin. Hinzu kommt, dass ein effektiver Schutz gegen Diskriminierung, Manipulation oder sonstige miss­bräuchliche Nutzung gewährleistet werden muss. Eine der besonderen Herausforderungen bringt dabei Thomas Neumann von der KIT-Gründer­schmiede auf den Punkt: „Die Folgen, die sich durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz ergeben, werden wir in ihrer ganzen Tragweite erst in eini­gen Jahren erkennen. Nicht zuletzt deswegen ist die Frage der Ethik ein ganz essenzieller und stän­dig zu hinterfragender Punkt.“

Die Langfassung dieses Artikels finden Sie in der Publikation Das ist EXIST 2021 (PDF, 10 MB)