Kühe im Stall

Kühe im Stall

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Mit einem Klischee sollte man gleich vorweg schon einmal aufräumen: Dass Landwirte mit Digitalisierung ‚nichts am Hut‘ haben. „Das ist kompletter Unsinn“, sagt Sebastian Baumbach, Gründer von InnoCow. „Wer heute auf einen Bauernhof kommt, sieht ziemlich schnell, dass hier mit Hightech gearbeitet wird. Satellitennavigation, Bodensensoren, autonom fahrende Landmaschinen, Melk- und Futterroboter sowie andere Hightech-Anwendungen sind für landwirtschaftliche Betriebe heutzutage absolut keine Seltenheit mehr.“ Das bestätigt auch der Digitalverband Bitkom. Demnach nutzt mehr als jeder zweite Landwirt (53 Prozent) in Deutschland digitale Lösungen. Gute Voraussetzungen also für innovative Start-ups wie das von Sebastian Baumbach. Der EXIST-geförderte Gründer von der Universität Kaiserslautern hat ein Trackingsystem entwickelt, das die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit von Milchkühen verbessert.

Alles dabei: von A wie Aquakulturen bis Z wie Züchtung


Kein Zweifel: Start-ups mit innovativen Lösungen für die landwirtschaftliche Praxis sind im Kommen. Während von 2009 bis 2012 insgesamt nur 13 Start-ups gegründet wurden, hat sich ihre Zahl zwischen 2013 und 2017 auf neunzig erhöht, stellen Professor Ludwig Theuvsen und Jan-Philipp Huchtemann vom Lehrstuhl für Betriebswirtschaft des Agribusiness an der Georg-August-Universität Göttingen fest.1) Die Autoren stellen in ihrem Beitrag „Agricultural Entrepreneurship: Status quo von Startups im deutschen Agribusiness“ die ganze Bandbreite an neuen Verfahren, Produkten und Dienstleistungen vor, für die die Food- und Agrarszene steht: ob neue Züchtungsmethoden, die Entwicklung biobasierter Materialien, BigData-Analysen oder auch Produkte aus alternativen Proteinquellen wie Algen oder Insekten. Apropos Algen: Cathleen Cordes zum Beispiel hat an der Beuth Hochschule für Technik ein Verarbeitungsverfahren entwickelt, das die wertvollen Inhaltsstoffe der Chlorella-Algen schont und gleichzeitig die Möglichkeit bietet, daraus Lebensmittel herzustellen, ohne dass der spezifische Geschmack in den Vordergrund tritt. Mit ihrem Start-up Evergreen-Food GmbH ist die EXIST-geförderte Gründerin seit 2015 auf dem Markt. „Ich denke, dass die Chlorella Vulgaris Alge einen wichtigen Beitrag zur zukünftigen Ernährungssicherung leisten kann. Sie ist sehr nährstoffreich. Von daher arbeiten wir daran, dass Chlorella-Algen zukünftig als vollwertiges Lebensmittel Verbreitung findet und nicht wie bisher nur als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt wird.“

Ihre Innovationskraft zeigen Agrar-Start-ups auch bei der Entwicklung von selbstfahrenden Maschinen, Robotern und Drohnen. Im Visier haben sie außerdem die Optimierung von Abläufen wie beispielweise der digitalen Temperaturüberwachung von frischen Lebensmitteln während Transport und Lagerung. Spannend sind nicht zuletzt ganz neue Produktionssysteme wie Container Farms, Vertical Plant Factories oder Vertical Indoor Farms.

Könnte besser sein: Förderung und Finanzierung für Agrar-Start-ups


Wie alle innovativen Start-ups kämpfen auch Agrar-Start-ups mit langen Entwicklungszeiten, einer geeigneten und ausreichenden Finanzierung und mit den Widrigkeiten des Markteintritts: zumal dann, wenn sie aus der Forschung kommen. Dabei bringt jede Branche ihre eigenen Herausforderungen mit. In der Agrarbranche macht zum Beispiel einigen Gründern das entweder oder bei der Agrar- und Wirtschaftsförderung zu schaffen. Dazu gehört zum Beispiel Simon Scheffler von KleePura, eine Ausgründung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden: „Da wir bisher Dienstleister beauftragt haben, die Flächen der Landwirte nach unseren Vorstellungen zu bebauen, galten wir als Urproduktionsbetrieb und mussten auf die weniger attraktive Agrarförderung zurückgreifen. Obwohl wir uns vom Selbstverständnis her gar nicht als Agrarbetrieb sehen. Durch die Umstellung des Produktionsmanagements stehen uns nun auch andere Förderprogramme zur Verfügung.“ Die Gewinner des sächsischen Umweltpreises des Jahres 2017 stellen den ersten bio-zertifizierten Dünger aus selbst angebautem Klee her. Er wird in Zusammenarbeit mit Bio-Landwirten in Brandenburg und Sachsen angebaut und zu Pellets weiterverarbeitet.

Traktor auf Feld

Traktor auf Feld

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Dass es in Sachen Förderung und Finanzierung noch Nachholbedarf gibt, sieht auch Dr. Julia Rosendahl, Sprecherin der Fachgruppe AgTech beim Bundesverband Deutsche Startups. „Wir wünschen uns Förderprogramme, die den langen Entwicklungszeiten der Agrarinnovationen angepasst sind. Idealerweise sollten darüber auch etwaige Versicherungskosten abgedeckt werden. Damit würde sich die Bereitschaft der Landwirte erhöhen, mit Start-ups zu Testzwecken zusammenzuarbeiten. Die Richtlinien sind allerdings nach wie vor sehr spezifisch und eng formuliert. Da gibt es durchaus Start-ups, die thematisch hineinpassen würden, aber dennoch keine Chance haben. Insofern wünschen wir uns da mehr Offenheit sowie längere Förderzeiträume.“ Einen Bedarf sieht die Tierärztin, die zusammen mit ihren Kolleginnen einen Futtermittelzusatz für Milchkühe entwickelt hat, auch an speziell auf die Agrarbranche ausgerichteten Wagniskapitalfonds. Das bestehende Angebot reiche bei weitem noch nicht aus. Erste Erfahrungen mit Investoren hat Jacob P. Bussmann bereits gemacht. Zusammen mit Jan Ritter hat er mit Unterstützung der Universität Oldenburg eine organische Saatgutbehandlung entwickelt, die u.a. vor Saatgutkrankheiten schützt und die Pflanzen widerstandsfähiger macht. Mit ihrem Unternehmen SeedForward sind sie in diesem Jahr an den Start gegangen. „Wir sind im Gespräch mit Business Angels und strategischen Investoren und können sagen, dass die Resonanz vor allen Dingen von Seiten der Impact-Investoren, die sich auf Umweltthemen spezialisiert haben, sehr gut ist.“

Notwendig: landwirtschaftliche Testflächen


Neben dem Bedarf an geeigneten Finanzierungsinstrumenten ist auch der Zugang zu landwirtschaftlichen Testflächen für viele Agrar-Start-ups ein wichtiges Thema. „Viele Gründerinnen und Gründer sind auf landwirtschaftliche Betriebe angewiesen, die sowohl ihre Flächen sowie Ställe bzw. ihre Tiere zur Verfügung stellen, um zum Beispiel neuartiges Saatgut, Dünger, Futtermittel oder auch innovative Robotik-Systeme zu testen“, so Dr. Julia Rosendahl. Letztlich hängt die Bereitschaft der Landwirte, Flächen zu Testzwecken zur Verfügung zu stellen natürlich von dem jeweiligen Produkt ab. Entsprechend unterschiedlich sind die Erfahrungen, die Gründerinnen und Gründer machen. Jan Ritter und Jacob P. Bussmann von SeedForward haben bei Landwirten und Saatgutfirmen zum Beispiel eine sehr große Offenheit erlebt: „Wir haben in relativ kurzer Zeit ein sehr großes Netzwerk aufgebaut. Viele Landwirte und Inhaber von Saatgutunternehmen sind direkt auf uns zugekommen und haben uns angeboten, unser Produkt auf ihren Flächen zu testen.“ Dabei kommt den Preisträgern des Start Green Award 2017 der besondere Umstand zugute, dass der Agrarsektor gerade im Umbruch ist. Die neue Düngemittelverordnung soll u.a. dafür sorgen, dass Gewässer besser geschützt werden, so dass für viele chemische Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln die Genehmigungen auslaufen. Landwirte sind daher händeringend auf der Suche nach Alternativen. Ähnliche Erfahrungen haben auch André Dülks und Johan Labs gemacht. Die beiden Gründer haben eine Unkrauthackmaschine entwickelt und sind im vergangenen Jahr mit ihrem Unternehmen, der Dulks GmbH, an den Markt gegangen. „Für viele Herbizide, die bisher in der Wachstumsphase von Gemüsepflanzen eingesetzt wurden, gibt es heute keine Zulassung mehr. Das bedeutet, Unkraut muss nicht selten per Hand gejätet werden, was natürlich sehr kosten- und zeitaufwändig ist. Die Landwirte waren daher sehr offen für unsere Idee, so dass wir unseren Prototypen bereits während der EXIST-Phase auf Bauernhöfen getestet haben.“ Etwas anders ist es dagegen Simon Scheffler von KleePura ergangen: „Sicher gibt es Landwirte, die gegenüber Innovationen sehr aufgeschlossen sind, aber die meisten erleben wir eher als zurückhaltend. In dem diesjährigen heißen Sommer wollten wir zum Beispiel auf Flächen in regenreicheren Bundesländern ausweichen. Der Zeitaufwand dafür, um die Landwirte vor Ort zu überzeugen, war beträchtlich.“

Kommt? Ökosysteme für Agrar-Start-ups


Um den erforderlichen Testzugang zu landwirtschaftlichen Betrieben zu erleichtern, fordert die Fachgruppe AgTech beim Bundesverband Deutsche Startups daher Gründerzentren für Agrar-Start-ups im ländlichen Raum. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Professor Ludwig Theuvsen und Jan-Philipp Huchtemann jedenfalls kommen in ihrem Beitrag „Agricultural Entrepreneurship: Status quo von Startups im deutschen Agribusiness“2) zu dem Ergebnis, dass sich die agrarorientierte Start-up Szene langsam zu einem landwirtschaftlichen Start-up Ökosystem in Deutschland entwickelt: durch die Vernetzung mit etablierten Unternehmen und Verbänden der Agrar- und Ernährungswirtschaft, Forschungseinrichtungen und Hochschulen sowie entsprechender politischer Rahmenbedingungen Ein Beispiel, das in diese Richtung weist, ist das Projekt Food des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT), das die Technische Universität München auf dem Campus in Freising angesiedelt hat. Das Projekt vereint Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten, die innerhalb von sieben Jahren rund 350 Start-ups entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Agribusiness fördern sollen. Auch die internationale Grüne Woche in Berlin hat das Thema Start-ups entdeckt und bietet im nächsten Jahr innovativen Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft eine exklusive Bühne.

Mann-mit-3D-Brille-auf-dem-Feld

Mann-mit-3D-Brille-auf-dem-Feld

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Mehr politische Unterstützung wünscht sich Dr. Julia Rosendahl von der Fachgruppe AgTech beim Bundesverband Deutsche Startups dabei auch bei der Implementierung innovativer Verfahren und Produkte in industrielle Herstellungsverfahren. „Vor allem wenn es um innovative Lösungen geht, die einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit in der Land- und Forstwirtschaft leisten können. So sollte es zum Beispiel möglich sein, dass auch kleine Start-ups, die nicht über einen Overhead wie ein Agrarkonzern verfügen, Zulassungen für neue Produkte oder Verfahren beantragen können.“

Alles ist möglich: Markteintritt über Direkt- oder Fremdvertrieb


Dabei sind Testflächen und weitere unterstützende Maßnahmen das eine. Das andere ist die Vermarktung der Entwicklungsergebnisse, sagt Sebastian Baumbach von InnoCow: „Es ist ein großer Unterschied, ob man zusammen mit Landwirten ein Produkt entwickelt oder ob man es auf den Markt bringen will. Vor allem, wenn man wie ich, nicht selbst aus der Landwirtschaft stammt. Als technikaffiner Gründer spreche ich die Sprache der Tech-Szene. Die Agrarbranche tickt hier jedoch ganz anders. Das war für mich als Gründer eine große Herausforderung, auch in diese völlig andere Welt einzutauchen und dort Fuß fassen. Einfach war und ist es nicht.“ Das Problem hat Baumbach gelöst, in dem er mit einem erfahrenen Vertriebler zusammenarbeitet, der den Markt seit 30 Jahren kennt. André Dülks setzt dagegen beim Verkauf seiner Unkrauthackmaschinen auf den Direktvertrieb – und ist offensichtlich mehr als zufrieden: „Ich würde sagen, dass die Landwirte sehr angenehme Kunden sind, weil sie ein neues Produkt vor allem nach seiner Funktion bewerten. Das macht es für uns recht einfach, weil wir nur mit der Praxistauglichkeit unseres Produkts überzeugen müssen und nicht wie bei einem Smartphone um Image oder Design.“

Weitere Informationen und Quellen

Future Agro Challenge
Der internationale Wettbewerb vergibt jedes Jahr den Titel "Agribusiness of the Year" an junge Unternehmen mit innovativen Ideen im Bereich Ernährung und Landwirtschaft.
https://facagro.com/

1) Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg): „Agricultural Entrepreneurship: Status quo von Startups im deutschen Agribusiness“. Prof. Dr. Ludwig Theuvsen und Jan-Philipp Huchtemann: Berichte über Landwirtschaft: Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft, Band 96, Ausgabe 2, August 2018
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2) eben