Gründer vor Whiteboard

Gründer vor Whiteboard

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Vor fast zwanzig Jahren fiel in Deutschland der Startschuss für die akademische Entrepreneurshiplehre. An der European Business School im hessischen Oestrich-Winkel wurde Professor Dr. Heinz Klandt auf den ersten Lehrstuhl für Entrepreneurship berufen. Er wurde auf Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums eingerichtet. Die Finanzierung übernahm die damalige Deutsche Ausgleichsbank (heute KfW Bankengruppe).

Seit dem hat die Entrepreneurship Education an immer mehr Universitäten und Hochschulen (FH) Einzug gehalten. Der FGF Förderkreis Gründungs-Forschung e.V. zählt inzwischen bundesweit 134 Entrepreneurship-Professuren. Sie firmieren zum Beispiel unter "Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement" (Bergische Universität Wuppertal), "Lehrstuhl für Entrepreneurship und Ökomische Bildung" (Technische Universität Dortmund) oder auch "Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Unternehmensgründungen" (Fachhochschule Brandenburg). 

Entrepreneurship Education: mehr als BWL

Dass die akademische Unternehmer-Ausbildung innerhalb weniger Jahre eine so große Verbreitung fand, liegt dabei nicht nur an Förderprogrammen wie EXIST. Ihren Einzug an deutschen Hochschulen verdankt sie vor allem auch dem Umstand, dass sich die klassische Betriebswirtschaftslehre fast  ausschließlich mit Großunternehmen beschäftigt. "Die Entrepreneurship Education schließt daher gewissermaßen eine Lücke, indem sie sich mit jungen und eher kleinen Unternehmen sowie deren Gründung beschäftigt und darüber hinaus die persönlichen unternehmerischen Voraussetzungen thematisiert", sagt Professor Dr. Heiko Haase. Der Lehrstuhlinhaber für allgemeine Betriebswirtschaft, insbesondere Gründungs- und Innovationsmanagement, leitet das Center for Innovation and Entrepreneurship (CIE) an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena.

Darüber hinaus ist die Entrepreneurship Education alles andere als ein Orchideenfach, das im Stillen sein Dasein fristet. Im Gegenteil: viele Hochschulen sehen in ihr einen Prestigegewinn, der zu einem zeitgemäßen Innovations- und Wissenstransfer beiträgt. Ihr interdisziplinärer Charakter spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn im Unterschied zu anderen Studiengängen lebt die Entrepreneurship Education davon, in möglichst vielen Fachbereichen präsent zu sein. Schließlich geht es ihren Akteuren darum, den Unternehmergeist bei allen Studierenden zu wecken: nicht nur bei angehenden Betriebswirten, sondern insbesondere auch bei Informatikern, Ingenieuren, Natur-, Sozial oder Geisteswissenschaftlern.

Glühbirne mit Hand

Erste Ideen

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Die Präsenz der Entrepreneurship Education an Hochschulen hat darüber hinaus nicht zuletzt durch die neu entstandene bundesweite Start-up-Szene an Auftrieb gewonnen. Musste vor wenigen Jahren noch die eine oder andere Veranstaltung mangels Nachfrage abgesagt werden, ist heute das Interesse gründungsinteressierter Studierender nicht selten sogar größer als das Angebot. Die Attraktivität der Entrepreneurship Education ist dabei auch auf die Vielfalt an Veranstaltungsformaten und Methoden zurückzuführen, die es so in den meisten anderen Studiengängen nicht gibt. Für viele Studierende ist allein das schon ein guter Grund, Kontakt mit dem Gründergeist aufzunehmen.

Nicht nur für Start-up-Gründerinnen und -Gründer

Im Kern bietet die Entrepreneurship Education eine Kombination aus individueller Berufsorientierung, Experimentierräumen und Vermittlung von Gründungswissen. Das bedeutet: Sie möchte Studierende für eine berufliche "Karriere" als Unternehmerin oder Unternehmer sensibilisieren. Sie bietet Freiräume an, in denen die Teilnehmer erste Ideen entwickeln können. Und sie vermittelt das notwendige unternehmerische Know-how und zeigt, wie aus Ideen erfolgversprechende Geschäftsmodelle entstehen können.

Dennoch: Einen eigenständigen Studiengang für Entrepreneurship anzubieten, hält Professor Dr. Heiko Haase nicht für sinnvoll. "Entrepreneurship existiert nicht als Selbstzweck, sondern dient dazu, Geschäftsgelegenheiten zu identifizieren und umzusetzen. Dazu brauche ich Wissen aus Bereichen, in denen sich solche Geschäftsgelegenheiten ergeben. Sei es im technischen, sei es im sozialwissenschaftlichen oder im betriebswirtschaftlichen Bereich."

Dabei bedient die Entrepreneurship Education noch eine weitere Zielgruppe: Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Unternehmen von ihren Angestellten unternehmerische Kompetenzen erwarten - Stichwort "Intrapreneurship" - werden die Veranstaltungen gerne auch von Studierenden besucht, die ihre Karriere (zunächst) in Führungspositionen von Unternehmen sehen.

Personen Gruppenarbeit

Diskussionen über die Weiterentwicklung eines Projekts

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Von daher ist es für Professorin Dr. Ilona Ebbers, tätig am internationalen Institut für Management und ökonomische Bildung an der Europa-Universität Flensburg zu kurz gegriffen, die Entrepreneurship-Ausbildung nur als Studium on top zu sehen. Vor allem wenn man noch eine dritte Zielgruppe in Betracht zieht: Studierende, die in ihrem späteren Berufsleben eine lehrende oder beratende Tätigkeit ausüben möchten. Für sie ist die Entrepreneurship Education als Studienschwerpunkt im Rahmen beratender Tätigkeiten im institutionellen Bereich, wie beispielsweise den kommunalen Wirtschaftsförderungen oder Kammern und auf freiberuflicher Ebene durchaus denkbar. Auch im Bereich der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung sieht sie Anknüpfungspunkte: „Bislang gibt es zwar nur wenige Bundesländer, in denen beispielsweise das Fach Wirtschaft an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet wird, aber vieles spricht dafür, dass das Angebot ausgeweitet wird.“

Akademische Unternehmerausbildung: ausreichend für eine Karriere als Unternehmer?

Bei aller Vielfalt, die die Entrepreneurship Education in ihren Methoden anwendet, und all den unternehmerischen Kompetenzen, die sie vermittelt, bleibt dennoch die Frage, ob Studierende damit tatsächlich ausreichend qualifiziert sind, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. So spielt zum Beispiel bekanntermaßen die persönliche "Ausstattung" der Gründerin bzw. des Gründers eine entscheidende Rolle für den Unternehmenserfolg: Selbstbewusstsein, Kreativität, Leistungs-, Durchsetzungs- und Risikobereitschaft sind dabei nur einige der Soft Skills, die zu den wichtigen persönlichen Voraussetzungen einer Unternehmerin oder eines Unternehmers gezählt werden und schwerlich im Rahmen einer Ausbildung vermittelt werden können. Kann also nur die- oder derjenige eine Karriere als Unternehmer anstreben, der all diese Eigenschaften in sich vereint? "Nein", sagt Professor Dr. Ilona Ebbers. Sie ist davon überzeugt, dass die praxisorientierte Herangehensweise der Entrepreneurship Education einerseits einen wichtigen Beitrag zur persönlichen Entwicklung leisten kann - und sich andererseits vermeintliche Schwächen auch ausgleichen lassen. "Das bedeutet nicht, dass man seine Kompetenzen von jetzt auf gleich weiterentwickelt. Es besteht ja vielleicht die Möglichkeit, sie durch eine Teamgründung zu bündeln. Das gilt für die Hard Skills im fachlichen Bereich genauso wie für die Soft Skills im persönlichen Bereich."

Wobei es damit nicht getan ist, ergänzt Professor Dr. Heiko Haase. Denn zu einer erfolgreichen Unternehmerkarriere gehören genauso auch Berufs- und Branchenerfahrung. Und die seien so elementar für den Unternehmenserfolg, dass er von einer Unternehmensgründung direkt im Anschluss an das Studium abrät. Er empfiehlt, zunächst als Mitarbeiter in einem Unternehmen Erfahrungen zu sammeln, ein Netzwerk aus beruflichen Partnern aufzubauen und dann erst mit einem eigenen Unternehmen zu starten.

"Klassische" Gründungsberatung contra akademische Unternehmerausbildung?

So vielfältig und umfassend die akademische Unternehmerausbildung auch ist: Es muss dennoch die Frage erlaubt sein, ob gründungsinteressierte Studierende, Wissenschaftler und Absolventen das notwendige Know-how nicht auch bei den klassischen Anlaufstellen für angehende Unternehmerinnen und Unternehmer erwerben könnten: also vor allem bei den Industrie- und Handelskammern, Gründungsinitiativen und Gründungszentren. "Selbstverständlich beraten diese Einrichtungen auch Akademiker und leisten dabei gute Arbeit", so Professorin Dr. Ilona Ebbers. Dennoch gibt es für sie einen wichtigen Grund, der für die Akademisierung des Entrepreneurships spricht: "Im Zentrum steht die nachhaltige Sensibilisierung und Qualifizierung der Studierenden für das Thema Gründung allgemein und weniger die Beratung. Bei wissenschaftsbasierten Gründungsideen ist es zudem wichtig, Studierenden und Wissenschaftlern sowohl die fachliche Seite - wenn es zum Beispiel um die Weiterentwicklung von Produkt- und Prozessinnovationen bis hin zur Marktreife oder um patentrechtliche Fragen geht - als auch die betriebswirtschaftliche Seite im akademischen Gesamtkontext zu vermitteln."

Seminarleiterin mit Teilnehmern

eine Seminarleiterin mit Teilnehmern

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Dass die Kammern und Unternehmensberater auch für Gründerinnen und Gründer mit akademischem Hintergrund insbesondere in der Sensibilisierungsphase und bei der konkreten Umsetzung der Geschäftsidee einen wesentlichen Beitrag leisten können, davon ist auch Professor Dr. Heiko Haase überzeugt. Allerdings sieht er gründungsinteressierte Studierende an den Hochschulen besser aufgehoben, wenn es um die unternehmerische Ausbildung geht: um das Schreiben eines Businessplan, die Kalkulation eines Finanzplans oder die Beteiligung an Planspielen: "Hochschullehrer sprechen die Sprache der Studierenden und haben dadurch einen besseren Zugang zu ihnen als die Gründungsberaterinnen und -berater an den Kammern. Hinzu kommt, dass sich die Kammern mit ihren Gründerseminaren an die breite Bevölkerung richten. Wohingegen Studierende meines Erachtens eine spezifische Entrepreneurship-Ausbildung benötigen, die das jeweilige Fachstudium ergänzt und insbesondere Bestandteil der Bachelor-, aber auch der Master-Ausbildung sein sollte."

Nicht zuletzt hätten die Hochschulen auch einen makroökonomischen Auftrag zu erfüllen, ergänzt Professor Dr. Heiko Haase: "Heutzutage sollte das Know-how rund um eine Unternehmensgründung zum Grundlagenwissen eines Akademikers gehören, unabhängig davon, aus welcher Fachrichtung er kommt. Schließlich tragen akademische Ausgründungen maßgeblich zum Gründungsgeschehen in Deutschland bei. Dazu gehören insbesondere technologieorientierte und wissensbasierte wachstumsorientierte Start-ups. Hinzu kommen die freiberuflichen Gründungen, die im Vergleich zu den gewerblichen Gründungen bereits seit Jahren hohe Gründungsquoten verzeichnen. Aus diesen Gründen kommt der Vermittlung des Gründungsgedankens und der Schaffung einer Gründeratmosphäre an Hochschulen eine besondere Bedeutung zu."