Frau mit Tablet

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"Hochschulen beschäftigen sich heute im Sinne einer 'Engaged University' viel häufiger mit der Frage, was sie für ihre Region tun können", so Prof. Dr. Knut Koschatzky, Leiter des Competence Center Politik - Wirtschaft - Innovation am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. "Dabei leisten sicherlich auch technologieaffine Ausgründungen einen Beitrag zum Strukturwandel in den Regionen. Die Zahl dieser Unternehmen ist allerdings noch so gering, dass sie für die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen bislang nicht wirklich relevant ist."

Mit Ausnahmen – möchte man ergänzen: Bereits jetzt zeigen nicht zuletzt EXIST-geförderte Hochschulen, wie sie gemeinsam mit kommunalen und regionalen Akteuren das Gründerökosystem vor Ort aufleben lassen und damit zur wirtschaftlichen Regionalentwicklung beitragen.

Gemeinsam für den Strukturwandel: Hochschule, Kommune und weitere Akteure

Beispiel Kassel: In den vergangenen Jahren wurden aus der Universität Kassel heraus etwa 380 bis 400 Start-ups gegründet – mit spürbar positiven Effekten für die Region, denn, so Bertram Hilgen, Oberbürgermeister der Stadt Kassel: "Die meisten dieser Unternehmen siedeln sich hier in der Stadt und der Region an und haben bisher weit mehr als 10.000 Arbeitsplätze geschaffen. Das war auch der Grund, warum wir gut sieben Millionen Euro aus dem städtischen Etat in den 'Science Park Kassel', das Innovations- und Gründerzentrum der Universität Kassel, investiert haben."

Die Stadt Kassel, die Universität Kassel sowie eine Reihe weiterer regionaler Akteuren aus Wirtschaft und Politik arbeiten bereits seit vielen Jahren erfolgreich zusammen, um die Zahl der universitären Start-ups zu erhöhen und deren Erfolgschancen zu verbessern. Von Anfang an mit dabei ist Jörg Froharth, Leiter der Gründungsunterstützung bei UniKasselTransfer und Geschäftsführer der Science Park Kassel GmbH: "Die regionale Vernetzung  ist im Verlauf der Jahre stetig gewachsen und hat vielfältige Kooperationen in der Gründungsunterstützung  hervorgebracht. Sehr bewährt hat sich beispielsweise der UnternehmerRat. Darin engagieren sich rund 20 Unternehmerinnen und Unternehmer, darunter auch Ausgründungen aus der hiesigen Universität, aktiv in der Gründungsunterstützung. Mit der Wirtschaftsförderung Region Kassel betreiben wir die UNIKAT Crowdfunding Plattform zur Finanzierung unternehmerischer Ideen. Und der vor kurzem entstandene Science Park, den wir mit großer finanzieller Unterstützung der Stadt auf die Beine stellen konnten, bildet die Basis für die Weiterentwicklung des Gründerökosystems in der Region Kassel."

Blick auf den Campus der Uni Kassel

Blick auf den Holländischen Platz, den Campus der Uni Kassel

© Uni Kassel - Paavo Blafeld

Gründungspotenzial: FuE-Netzwerke

Kern eines solchen Gründerökosystems und Voraussetzung, um Absolventen und Wissenschaftler für Unternehmensgründungen zu sensibilisieren, sei die enge Vernetzung zwischen Hochschulen und Unternehmen in Forschung und Entwicklung, so Prof. Dr. Knut Koschatzky: "Wenn das Hochschulprofil zu den Unternehmen und Branchen in der Region passt, können sich aus zunächst vereinzelten Kooperationsvorhaben ganz neue Formen der Kooperation ergeben. Das kann ein gemeinsam betriebener Forschungs-Campus sein, wie zum Beispiel der Forschungscampus STIMULATE, an dem die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die Siemens Healthcare GmbH und der STIMULATE Verein beteiligt sind. Oder auch der Kooperative Forschungscampus Stuttgart, der von Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, der Fraunhofer Gesellschaft und der Max-Planck-Gesellschaft sowie dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und der Universität Stuttgart, gemeinsam mit den Unternehmen BOSCH, Daimler, EnBW, IBM Deutschland und Porsche ins Leben gerufen wurde. Die gemeinsame Forschung mit gemeinsamen Personal an einem Standort birgt zweifellos auch ein sehr großes Potenzial für Ausgründungen."

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt zum Beispiel der BioMedTec Wissenschaftscampus in Lübeck. Auf dem weitläufigen Gelände stößt man nicht nur auf die Universität zu Lübeck und die Fachhochschule Lübeck, sondern auch auf außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie das Forschungszentrum Borstel. Vor Ort sind außerdem eine Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie sowie eine Fraunhofer-Projektgruppe zur Bildregistrierung. Und: Nicht zu vergessen das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Hinzu kommt eine Reihe mittelständischer Unternehmen, die ebenfalls in der Medizintechnik-Branche tätig sind. Dass sich der BioMedTec Wissenschaftscampus mit seinen insgesamt 6.000 Mitarbeitern im Bereich Medizintechnik und Life-Science zu einem der größten Cluster für medizintechnische und naturwissenschaftliche Kompetenzen in Deutschland entwickelt hat, liegt insbesondere an der engen Vernetzung und guten Zusammenarbeit zwischen den Campuspartnern. Und genau die kommen auch dem Gründergeist zu Gute, umso mehr als die Industrie- und Handelskammer zu Lübeck und die Sparkasse zu Lübeck mit ihrem Gründungs-Know-how ebenfalls auf dem Campus präsent sind. Nicht zu vergessen das Technikzentrum Lübeck, ein Gemeinschaftsunternehmen der Lübecker Wirtschaft, das auf dem Campus Räume für Gründungsteams und junge Unternehmen bereitstellt.

Dabei würde man in der akademischen Gründungslandschaft eigentlich weder die Industrie- und Handelskammer noch die Sparkasse als Kooperationspartner vermuten. Beide Institutionen gelten eher als Ansprechpartner für bodenständige Mittelständler, nicht aber für Wissenschaftler, die mit unbegreiflichen Geschäftsideen den Weltmarkt erobern möchten. Ein Vorurteil, das Dr. Sabine Hackenjos aus dem Geschäftsbereich Innovation und Umwelt in der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck, so nicht stehen lassen will: "Alle Gründungsakteure hier in der Region haben sich darauf verständigt, dass technologieorientierte Gründungen eine wichtige Rolle für die Zukunft der Region Lübeck spielen. Einige der alten Industrien sind weggebrochen, also müssen wir uns neu ausrichten. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe an, das wissenschaftliche Know-how für unsere Unternehmen hier in der Region zu nutzen und technologieorientierte Branchen weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch die Förderung von Ausgründungen aus Hochschulen." 

Damit es funktioniert: Geduld und Vertrauen

Keine Frage also: Dass die Vernetzung von Hochschulen mit regionalen Partnern sehr viel zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen kann, steht fest. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass der Aufbau und die Nachhaltigkeit solcher Netzwerke nicht einfach sind. Jörg Froharth: "Ich glaube die wesentlichen Faktoren sind Geduld und Vertrauen. Neue Strukturen entstehen nicht per Beschluss, sondern müssen wachsen. Wichtig ist, dran zu bleiben, Dinge zwei oder dreimal zu probieren und auch mal ein gemeinsames Scheitern zuzulassen. Das schafft Vertrauen. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden sich ohnehin erst in der gemeinsamen Projektarbeit heraus kristallisieren. Wenn dies zu einem allgemein zufriedenstellenden Ergebnis führt, können Strukturen geschaffen werden, in denen die Universität gemeinsam mit der Region eine lebendige innovative Gründerszene hervorbringt, die die ökonomische, kulturelle und soziale Entwicklung mit prägt."