Stadtansicht von Paris mit dem Eiffelturm

Blick auf Paris mit dem Eiffelturm.

© iStockphoto/StevanZZ

Erasmus ermöglicht Gründerinnen und Gründern einen mehrmonatigen Aufenthalt in einem mittelständischen Unternehmen in einem der EU-Mitgliedstaaten. Dahinter steckt eine weitreichende Idee, erklärt Sabine Mattern von UnternehmerTUM, dem Zentrum für Innovation und Gründung an der Technischen Universität München. Es ist eine der neun deutschen Vermittlungsstellen, die von der Europäischen Kommission ausgewählt wurden, um den Teilnehmern von Erasmus mit Rat und Tat zur Verfügung zu stehen. "Wir wollen junge Unternehmerinnen und Unternehmer motivieren, bereits in einem frühen Stadium ihren Blick auf den internationalen Markt zu richten. Durch den engen Kontakt zu einem der gastgebenden Unternehmer haben sie die Möglichkeit, den Markt eines EU-Mitgliedslandes ihrer Wahl von innen her kennenzulernen und womöglich erste Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Darüber hinaus ist es interessant mitzuerleben, wie der Unternehmensalltag zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien oder Polen aussieht."

Auch für die Hosts, die gastgebenden Unternehmerinnen und Unternehmer, bietet Erasmus Vorteile. Sie erhalten über ihren Kurzzeit-Partner Einblicke in den deutschen oder einen anderen europäischen Markt, in neue Ideen und Entwicklungen. Sabine Mattern: "Im besten Fall entsteht eine langfristige Kooperation, bei der die Partner gemeinsame Vertriebswege aufbauen oder sogar ein gemeinsames Produkt entwickeln. Manchmal führt das Ganze sogar zu einer gemeinsamen Gründung."

Zwei-Länder-Tandems

Typisch für  "Erasmus für Jungunternehmer" sind die Tandems, die jeweils zwischen einem Gründungsinteressierten oder jungen Unternehmer und einem erfahrenen Unternehmer gebildet werden. Beide müssen aus verschiedenen Ländern der EU kommen. "Der unternehmerische Newcomer und der erfahrene Unternehmer bleiben für eine Zeitspanne von einem bis zu sechs Monaten zusammen. Wie sie die Zeit nutzen, bestimmen sie selbst. Das kann von einzelnen Gesprächen über das unternehmerische Alltagsgeschäft bis zur Erledigung von Aufgaben im Gastgeber-Unternehmen reichen. Kommuniziert wird in der Sprache, die beide beherrschen", so Sabine Mattern.

Wohin zieht es deutsche Erasmus-Teilnehmer? (2015 – 2016)

ZiellandProzent
Spanien20,0
Vereinigtes Königreich13,3
Österreich33,3
Schweden6,7
Portugal13,3
Italien6,7
Dänemark6,7

Quelle: Erasmus for Young Entrepreneurs 2016

Bewerbung bei lokaler Vermittlungsstelle

Wer sich bei Erasmus bewerben möchte, wendet sich mit einer zukunftsfähigen Geschäftsidee und einem Businessplan an eine der lokalen Vermittlungsstellen. Dabei muss man noch kein eigenes Unternehmen gegründet haben. Falls doch, darf es nicht älter als drei Jahre sein. Darüber hinaus muss der Bewerber Fragen u.a. zu seiner Motivation und dem Nutzen seines Aufenthalts für das Gastgeber-Unternehmen beantworten. Um sowohl für den Teilnehmer als auch für den Host eine Win-win-Situation zu schaffen, müssen die beiderseitigen Erwartungen möglichst konkret formuliert werden: Wollen die Teilnehmer den Auslandsaufenthalt zum Beispiel dazu nutzen, ihren Marketing-Plan zu überarbeiten? Wollen sie potenzielle Kooperationspartner kennenlernen? Ein weiterer Punkt betrifft die Finanzierung: Denn auch wenn die EU den Aufenthalt bezuschusst, muss genug Geld vorhanden sein, um die Kosten des Aufenthalts anteilig zu bestreiten.

Aus welcher Branche die Bewerberin oder der Bewerber kommt, spielt keine Rolle. Allerdings ist die Nachfrage von Gründerinnen und Gründern aus dem Hightech-Bereich derzeit am höchsten. Für sie ist der Einstieg in den internationalen Markt besonders wichtig. Wie zum Beispiel für David Hahn, Inhaber des IT-Unternehmens Kontale [zukünftig: leanquo GmbH]. Schon als Student an der TU München spielte er mit dem Gedanken, sich nach seinem Studium mit einem Softwareunternehmen selbständig zu machen. Seine Bachelorarbeit hat er dann kurzerhand mit einem Erasmus-Aufenthalt verknüpft, um Praxiserfahrungen zu sammeln: für seinen Bachelor und für sein späteres Start-up. 

Gastgeber-Suche über Datenbank

Nach der erfolgreichen Bewerbung bei UnternehmerTUM erhielt er Zugang zu einer europaweiten Datenbank. "Damit konnte ich EU-weit nach einem geeigneten Unternehmen suchen, gefiltert nach Branche, Standort und Unternehmensgröße. An rund 15 Kandidaten habe ich dann ein Bewerbungsschreiben gemailt und ihnen damit Zugriff auf mein Profil mit Informationen zu meinen Qualifikationen, meiner Geschäftsidee, meinen Wünschen und so weiter ermöglicht. Bei der Suche habe ich gezielt nach Unternehmen gesucht, die zu meinem Arbeitsschwerpunkt und zukünftigen Geschäftsmodell passen, so dass die Wahl schließlich auf ein Unternehmen im spanischen Valencia fiel."

Beispiel: Kommunikationskultur und Teamgeist in Spanien

Vier Monate verbrachte David Hahn bei David Tronchoni, Inhaber eines Unternehmens, das Software zur Prozessoptimierung von Produktionsanlagen herstellt. Dabei war die Offenheit und Nähe zu seinem Gastgeber-Unternehmer eine seiner wichtigsten Erfahrungen, sagt Hahn: "David Tronchoni hat mir den Entwicklungsprozess seines Unternehmens erklärt: Wie es vorher war, welche Fehler er gemacht hat, und wie er diese Fehler korrigiert hat. Aber er hat mich auch auf meine Fehler aufmerksam gemacht. Bei der Konzeptentwicklung zur Vermarktung seiner Produkte auf dem deutschen Markt, durfte ich mich zum Beispiel auch an den Gesprächen mit seinen spanischen Geschäftspartnern beteiligen. Das kam aber offensichtlich nicht ganz so gut an. Im Nachgang gab er mir jedenfalls den Tipp, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, also nicht sofort zur Sache zu kommen, wie das in Deutschland eher üblich ist, sondern zunächst für gegenseitige Sympathie zu sorgen. In Spanien wird eben erst einmal über Fußball diskutiert, dann redet man noch über die letzte Paella, und dann erst kommt man langsam zum Geschäftlichen. Das machen wir in Deutschland zwar ähnlich. Aber bei weitem nicht so ausgiebig."

David Tronchoni und David Hahn

David Tronchoni und David Hahn

© David Hahn

Für seinen unternehmerischen Alltag in Deutschland hat David Hahn vor allem eine Erfahrung mitgenommen: "Das Team ist das Wichtigste im Unternehmen. Das wurde mir klar, als ich gesehen habe, dass in spanischen Unternehmen die Strukturen nicht so straff sind, wie ich das aus Deutschland kannte. Es geht alles etwas salopper zu, angefangen bei den Arbeitszeiten. Dabei ist es zwar insgesamt schwieriger, die Mitarbeiter zu kontrollieren, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Mitarbeiter in meinem Gastgeber-Unternehmen sich dadurch freier entfalten konnten. Ich habe gelernt, dass diese Freiheit, gepaart mit offener Kommunikation und Transparenz gegenüber jedem Teammitglied, wichtige Bestandteile für die Motivation jedes Einzelnen sind und setze das daher auch in meinem Unternehmen um."

Teilnehmer aus Deutschland beliebt

Erasmus-Teilnehmer aus Deutschland werden übrigens im Ausland sehr geschätzt, so die Erfahrung von Sabine Mattern: "Weil sie schon im jungen Alter sehr professionell agieren und den Austausch sehr ernst nehmen. Und weil sie offen für Kritik sind." Dabei sind diejenigen, die noch vor der Gründung stehen, natürlich deutlich eher bereit, für ein paar Monate ins Ausland zu gehen als diejenigen, die bereits ein Unternehmen gegründet haben. Vielen geht es darum, in der Praxis erst einmal zu erfahren, ob die unternehmerische Selbständigkeit überhaupt etwas für sie ist. So wie bei David Hahn: "Ich habe in einem anderen Land, entfernt von meinem vertrauten Umfeld, erlebt, wie ein Unternehmen funktionieren kann. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich meine Zweifel daran, ob der Weg in die Selbständigkeit das Richtige für mich ist, ausgeräumt und dann tatsächlich gegründet habe."