Daniela Deuber

Daniela Deuber, Geschäftsführerin des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND)

© SEND

Daniela Deuber ist Geschäftsführerin des Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND), einem Verein, der die Vernetzung und den Austausch von sozialen Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Impact Gründungen in Deutschland vorantreibt. Sie erklärt, vor welchen Herausforderungen Social Start-ups stehen, wie Social Entrepreneurship und Impact Unternehmen stärker gefördert werden können und warum eine sozialere, nachhaltigere Gesellschaft zukunftsentscheidend für Deutschland ist.

Zunächst einmal zur Begriffserklärung: Welche Formen von Sozialunternehmertum gibt es?
Daniela Deuber: Wir von SEND definieren den Begriff so: Das primäre Ziel von Social Entrepreneurship ist die Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen. Dies wird durch kontinuierliche Nutzung unternehmerischer Mittel erreicht und resultiert in neuen und innovativen Lösungen. Durch steuernde und kontrollierende Mechanismen wird sichergestellt, dass die gesellschaftlichen Ziele intern und extern gelebt werden. Intern unterscheiden wir auch oft noch nach marktnahen und nach marktfernen Sozialunternehmen, die oft in staatlichen „Quasi-Märkten“ unterwegs sind. Marktnahe Sozialunternehmen sind z. B. Ecosia, AfB gGmbH oder Innatura und marktferne z. B. Arbeiterkind oder Mobile Retter. Nicht alle Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen lassen sich über klassische Markteinnahmen finanzieren. So hat z. B. die Integration eines Geflüchteten, ein gerettetes Leben oder der Bildungsaufstieg von Menschen aus benachteiligten Gruppen bisher keinen echten Marktpreis. Da diese Bereiche bislang größtenteils in der Gründungs- und Innovationsförderung ausgeblendet werden, entgeht uns neben konkreten Lösungen für Betroffene, ein finanzielles Milliardenpotenzial als Gesellschaft, so das Ergebnis einer Studie von Ashoka und McKinsey.

Was bedeutet „finanzielles Milliardenpotenzial als Gesellschaft“ genauer?
Daniela Deuber: Wir betrachten in der Innovations- und Gründungsförderung primär die Einnahmenseite des Staates, also von uns als Gesellschaft, über Steuereinnahmen. Gleichzeitig gibt es gerade in den Bereichen, wo der Staat eine starke Rolle in der Gestaltung von Quasi-Märkten einnimmt, bislang kaum Gründungs- und Innovationsanreize. Dadurch werden oft Scheinlösungen realisiert, die allerdings keine Wirkung für die Lösung eines Problems schaffen. Ein gutes Beispiel sind die Herausforderungen in der Pflege. In Deutschland überlegen oft Bürokraten ohne eine Einbindung der Zielgruppe, wie die Pflegevorgänge abzulaufen haben und wie viel Zeit dafür aufzuwenden ist. Dagegen hat es in den Niederlanden der ambulante Pflegedienst Buurtzorg geschafft, einer der beliebtesten Arbeitgeber des Landes und bei den Betroffenen bzw. Pflegebedürftigen beliebtester Pflegedienst zu werden. Gleichzeitig spart Buurtzorg mit seinem innovativen Wirkungsmodell der Gesellschaft, dem Staat und der Pflegeversicherung insgesamt 40 Prozent der Ausgaben. Zu der Problemstellung gibt es einen schönen Beitrag von Zarah Bruhn, Gründerin von socialbee und Beauftragte für Soziale Innovationen im BMBF.

Wie grenzen sich Sozialunternehmertum und Impact Unternehmen von der „normalen“ Wirtschaft ab?
Daniela Deuber: Der zentrale Unterschied ist das unternehmerische Ziel. Während klassische Unternehmen primär auf eine Maximierung der finanziellen Rendite hinarbeiten, steht bei Sozialunternehmen die gesellschaftliche Rendite – das Erreichen sozialer und ökologischer Ziele – im Vordergrund. Bei Sozialunternehmen ist das Geschäftsmodell Mittel zum Zweck und das Wirkungsmodell ein erklärtes Ziel.

Wie verhält es sich mit der Corporate Social Responsibility (CSR)?
Daniela Deuber: Es ist wichtig, dass Nachhaltigkeit in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft berücksichtigt wird. Trotzdem gibt es einen großen Unterschied zwischen „Purpose for Profit“, hier ist CSR meist einzuordnen, und Sozialunternehmen, also Profit for Purpose, durch die damit verbundene Zielsetzung. Bei den einen geht es darum über eine bessere Außendarstellung der Nachhaltigkeitsmaßnahmen oder von gesellschaftlichem Engagement mehr Gewinn zu machen. Das eigentliche Geschäftsmodell bleibt davon meist unberührt. Bei den anderen geht es darum, dass Gewinne dafür genutzt werden, um soziale bzw. ökologische Ziele zu erreichen. Die aktuelle Situation zeigt wieder deutlich, dass in Krisen oft die CSR-Maßnahmen in Unternehmen zurückgefahren werden und Nachhaltigkeit hier oft noch nicht Kern der langfristigen Unternehmensstrategie ist.

Warum sind die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN, die Ziele für nachhaltige Entwicklung, so wichtig für die deutsche Wirtschaft?
Daniela Deuber: 1972 – vor genau 50 Jahren – hat der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht und darin die Herausforderungen unseres aktuellen Wirtschaftssystems für unseren Planeten und die nachfolgenden Generationen deutlich aufgezeigt. Seitdem haben wir zu zaghaft gehandelt und viele Probleme verschlimmert, anstatt sie mit dem gebotenen Nachdruck zu lösen. Mit den SDGs hat die UN einen Zielrahmen geschaffen, der zu einer zukunftsfähigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt und breite Akzeptanz der verschiedenen Stakeholder gefunden hat.
Von daher sollten sich Unternehmer und Unternehmerinnen Gedanken machen, ob sie mit ihrer Wertschöpfungskette Teil des Problems oder bereits Teil der Lösung sind. Die Schaffung von ökologischen und sozialen Mehrwerten sowie ein wertorientiertes Leben, das mit einem wirtschaftlichen Denken in Einklang gebracht wird, werden entscheidende Wettbewerbsvorteile beim Ringen um Talente, Kunden und auch Investoren sein. Mit „Buy Social“, unserer Initiative zum Kauf von Produkten und Dienstleistungen von Sozialunternehmen, unterstützen wir deshalb auch klassische Unternehmen bei der Integration von Sozialunternehmen in die eigene Wertschöpfungskette. Damit agieren wir als Partner für die sozial-ökologische Transformation dieser Unternehmen. Aktuelle Beispiele gibt es dazu von Firmen wie SAP (zum Artikel) und der Otto Group (zum Artikel).

Wie viele sozialorientierte Gründungen bzw. Start-ups gibt es in Deutschland bzw. wie hoch ist ihr prozentualer Anteil?
Daniela Deuber: Die Frage lässt sich leider so nicht klar beantworten, da Deutschland als eines der wenigen Länder innerhalb der EU noch keine offizielle Definition hat. Laut einer Studie der KfW-Research gab es allein 2017 über 108.000 Sozialunternehmen, die jünger als 5 Jahre waren. Das sind 9 Prozent aller Jungunternehmen. Im Vergleich zu 3 Prozent bei den Bestandsunternehmen zeigt das die dynamische Entwicklung unseres Sektors auf. Noch deutlicher wird es unter den innovativen Start-ups. So ordnen sich im aktuellen Deutschen Startup Monitor (DSM) 38,4 Prozent der Kategorie Social Entrepreneurship zu. Im Vergleich zu 2020 hat dieser Anteil zwar um 4,2 Prozentpunkte abgenommen (42,6 Prozent in 2020), jedoch merkt der DSM dazu an, dass das Nachhaltigkeitsthema in seiner Bandbreite immer mehr das gesamte Ökosystem beeinflusst, so dass sich Start-ups wahrscheinlich immer weniger dezidiert diesen Feldern zuordnen.

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer in Deutschland? Sie geben dazu jährlich den Deutschen Social Entrepreneurship Monitor (DSEM) heraus …
Daniela Deuber: Laut unserem aktuellen Deutschen Social Entrepreneurship Monitor sind die Hürden, die mit sehr hohem oder hohem Einfluss bewertet wurden, direkt mit der Finanzierung verknüpft: Erstens gibt es zu wenig gezielte Anschlussfinanzierung; zweitens ist die Vergabe von öffentlichen Finanzmitteln schwer nachvollziehbar; drittens gibt es zu wenig verwendbare Formen der Startfinanzierung; und viertens finden sich kaum finanzpolitisch unterstützende Rahmenbedingungen.
Diese Herausforderung hat auch der Sustainable Finance Beirat der letzten Bundesregierung in seinem Abschlussbericht deutlich hervorgehoben: „Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern existieren noch keine zielgruppenspezifischen Finanzierungs- und Förderinstrumente für Social Entrepreneurship. Gegenwärtig wird die dynamische Entwicklung von Social Entrepreneurship in Deutschland vor allem aufgrund der schwierigen Finanzierungssituation ausgebremst. Innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen können sich deshalb nicht im gleichen Maß wie in anderen Ländern entwickeln.“
Wir sind aber zuversichtlich, dass sich dies mit den ambitionierten Plänen der neuen Bundesregierung sowie der neuen Start-up-Strategie zügig verbessern dürfte. In diesem Zusammenhang erwarten wir auch eine Anpassung vom EXIST-Gründerstipendium.

Wie könnte man Impact-Start-ups attraktiver für Investorinnen und Investoren machen?
Daniela Deuber: Die ökologischen Kosten werden zum größten Teil externalisiert und somit an uns als Gesellschaft und Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weitergegeben. Deshalb können wir uns nicht allein die finanzielle Rendite eines Start-ups ansehen. Aus anderen Ländern wissen wir, dass sowohl zukunftsfähige Rahmenbedingungen sowie gezielte Anreize für mehr Attraktivität bei Investorinnen und Investoren sorgen. Auch wenn in Deutschland die öffentliche Hand eine wichtige Rolle bei der Gründungs- und Innovationsfinanzierung spielt, wurde bislang versäumt, die Bedürfnisse von Impact Investoren in den Instrumenten zu berücksichtigen. So erhalten z. B. Impact Investing Fonds keine gleichwertige Unterstützung über KfW-Capital und werden bislang meist vom Investitionszuschuss Wagniskapital ausgeschlossen. Wir freuen uns, dass die neue Bundesregierung auch hier Verbesserungen angekündigt hat. Gleiches gilt für die Mobilisierung „nachrichtenloser Vermögenswerte“. Das sind nicht abgerufene Vermögen, also Bankguthaben, Wertpapierdepots oder auch Schließfächer, deren Besitzer unbemerkt verstorben sind.

Welche Hindernisse gibt es noch in Deutschland, z. B. eine fehlende Rechtsform für Impact-Start-ups?
Daniela Deuber: Die Ergebnisse des DSEM zeigen deutlich die Heterogenität gewählter Rechtsformen. Sozialunternehmen kombinieren den Gemeinnützigkeitsstatus mit allen möglichen Rechtsformen, wie der DSEM auf Seite 25 zeigt. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden agiert mit dem offiziellen Gemeinnützigkeitsstatus. Will man Social Entrepreneurship ernsthaft voranbringen, muss sich hier der rechtliche Rahmen weiterentwickeln. So setzen wir uns z. B. für einen besseren Zugang innovativer und digitaler Lösungen zum Gemeinnützigkeitsstatus ein und unterstützen die Schaffung einer GmbH mit gebundenem Vermögen. Durch die Fokussierung auf den Zweck einer Organisation und nicht primär den Shareholder Value kann bei guter Umsetzung ein großes Potenzial für die Weiterentwicklung hin zu einem Stakeholder-Kapitalismus geschaffen werden. Ebenso setzen wir uns für die Weiterentwicklung von Genossenschaften ein. Es kann nicht sein, dass der formale Gründungsprozess von Start-ups mit einer primären Ausrichtung auf sozial-ökologische Mehrwerte oft mehrere Monate, teilweise bis zu einem Jahr dauert. Hier brauchen wir eine Verbesserung!

Warum dauert es so lange?
Daniela Deuber: Hierzu gibt es keine offizielle Studie, allerdings haben wir eine Reihe von Erfahrungsberichten unserer Mitglieder. So sind z. B. bei der Vergabe der Gemeinnützigkeit die jeweiligen Finanzämter zuständig. Lösungen, die innovativ - also anders als die Standardlösungen - sind, haben es hier oft schwerer. Gerade bei digitalen Wirkungsmodellen fehlt oft das Verständnis für solche Modelle. Ähnliches zeigt sich bei Genossenschaften. Auch hier hängen die Rahmenbedingungen noch in der analogen Zeit fest. Herausforderung ist, dass die Interessenvertretung hier oft von Akteuren gemacht wird, deren Finanzierungsmodell die Verwaltung komplexer analoger Prozesse ist. Wie groß hier der Bedarf an einer Verbesserung ist, zeigt der Erfolg unserer Initiative #GenoDigitalJetzt, die von jungen und etablierten Genossenschaftsakteuren sowie Politikerinnen und Politiker aus parteiübergreifenden Lagern unterstützt wird.

Der 4. Social Entrepreneurship Monitor nennt Bildung, Gesundheit und Informationstechnologie die häufigsten Sparten des Sozialunternehmertums. In welchen Bereichen sollte es aber noch stärker vertreten sein?
Daniela Deuber: Nehmen wir gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel, demografischen Wandel, gesellschaftliche Spaltung oder ganz aktuell die Folgen des Ukraine-Kriegs ernst, dann sollte es in allen Bereichen mehr Social Entrepreneurs geben. Hier braucht es agile und innovative Lösungen. Sozialunternehmen unterstützen auch etablierte Organisationen bei ihrer sozial-ökologischen Transformation der eigenen Wertschöpfungsketten. Damit sind Sozialunternehmen ein zentraler Baustein für die Weiterentwicklung unserer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme hin zu einer lebenswerten Zukunft. So sehen z. B. die Expertinnen und Experten des GlobeScan-SustainAbility Leaders Survey die Social Entrepreneure als zweitwichtigste Zielgruppe für die Umsetzung der SDGs an. Als wichtigste Zielgruppe sehen sie die NGOs.

Warum ist dieses Thema so wichtig für Universitäten?
Daniela Deuber: Bei Social Entrepreneurship Education geht es um viel mehr als die Vermittlung von Kompetenzen zur Gründungsförderung. Es geht um die Vermittlung von Zukunftskompetenzen wie Gestaltungs- und Lösungskompetenz und einen ganzheitlichen Blick auf systemische Wechselwirkungen. Will man die Energie der Friday for Future-Generation in konstruktive Lösungen transferieren, ist es wichtig, derartige Angebote für die Wissens- und Kompetenzvermittlung sowie den Transfer in die Praxis aufzubauen. Laut der Übersicht des Förderkreises Gründungs-Forschung (FGF e. V.) haben von 170 Entrepreneurship-Professuren in Deutschland nur vier Social Entrepreneurship als Schwerpunkt. Zudem zählen bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen laut dem Deutschen Startup Monitor 2021 nachhaltigkeitsbezogene Angebote (z. B. zu Sustainable/Social Entrepreneurship, nachhaltigkeitsorientierten Geschäftsmodellen) mit 6,3 Prozent zu den am geringsten genutzten Unterstützungsangeboten, obwohl sich in der gleichen Erhebung 42,8 Prozent den Green Start-ups und 38,4 Prozent dem Social Entrepreneurship zuordnen. Es gibt eben bislang kaum ernsthafte Angebote. Da bis jetzt eine strukturelle Verankerung in Lehre und Gründungsförderung noch nicht in der Praxis angekommen ist, freuen wir uns sehr, dass Studierende selbst aktiv werden und z. B. über INFINITY Deutschland e. V., einem bundesweiten Studierendennetzwerk für Social Entrepreneurship, an immer mehr Universitäten eigene Angebote schaffen.

Was könnte getan werden, um das Thema stärker in der Lehre zu positionieren?
Daniela Deuber: Neben einem Ausbau von Lehrstühlen für Social Entrepreneurship wäre eine stärkere Integration in die Angebote universitärer Gründungszentren ein wichtiger Schritt. So könnte z. B. neben einer besseren Integration in EXIST-Gründerstipendium und -Forschungstransfer eine eigene Ausschreibungsrunde EXIST-Potenziale mit dem Schwerpunkt Green- und Social Entrepreneurship einen wichtigen Beitrag leisten. Kurzfristig würde auch helfen, studentische Initiativen wie INFINITY oder Enactus finanziell zu unterstützen. Zudem sollte das Thema auch generell stärker in Aus- und Weiterbildungsprogrammen sowie auch in verschiedenen Beiräten verankert werden. Wir stecken in einer Zeit großer Umbrüche. Wenn wir diese im Sinne zukünftiger Generationen gestalten wollen, gilt es das dafür nötige Know-how sowie die erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln.

Stand: Juni 2022