Dr. Jens-Peter Gaul

Dr. Jens-Peter Gaul

© HAK/Marcus Pietrek

Dr. Jens-Peter Gaul ist Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz und Mitglied des EXIST-Beirats.

Herr Dr. Gaul, EXIST-Potenziale möchte die Gründungskultur vor allem an kleinen und mittleren Hochschulen unterstützen. Wie bewerten Sie aus Sicht der Hochschulrektorenkonferenz dieses neue Förderinstrument?
Dr. Gaul: Sehr positiv. Wissenschaft und Politik diskutieren ja bereits seit längerer Zeit darüber, auf welche Weise Hochschulen noch stärker zur regionalen Wertschöpfung beitragen können. Es gibt diese viel zitierte Zahl: 59 Kilometer. Das bedeutet vereinfacht gesagt, niemand in Deutschland ist mehr als 59 Kilometer entfernt von einer Hochschule. Sie finden also verteilt in der ganzen Republik Hochschulen - nicht nur in Ballungszentren, sondern auch im ländlichen Raum und strukturschwachen Gebieten. Und gerade dort sind es vor allem die vielen kleineren und mittleren Hochschulen, die mit Unterstützung von EXIST-Potentiale einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, das Profil und die Wirtschaftskraft ihrer Region weiter zu entwickeln und deutlich zu stärken.

Welche Rolle spielt das Thema Gründungskultur dabei?
Dr. Gaul: Hochschulen stehen heute vor der Herausforderung, ihre Kernthemen Forschung und Lehre zu sichern und gleichzeitig weiterzuentwickeln. Im Wettbewerb der Hochschulen spielen dabei nicht zuletzt die Instrumente des Innovationstransfers eine wichtige Rolle. Und genau dazu gehören eben auch Ausgründungen bzw. Existenzgründungen. Nur: Studierende, Absolventen und Wissenschaftler für eine „Karriere“ als Unternehmerin oder Unternehmer zu sensibilisieren und zu einer erfolgreichen Unternehmensgründung zu verhelfen, gehört nicht zum klassischen Portfolio einer Hochschule. Von der erforderlichen Finanzierung ganz zu schweigen. Das bedeutet: Hochschulen können deshalb wirkungsvoll durch einen inhaltlichen Impuls als auch durch einen finanziellen Anreiz unterstützt werden, um tatsächlich echte Kompetenzen in Puncto Entrepreneurship aufzubauen.

Insofern ist EXIST sehr begrüßenswert. Darüber hinaus hat es meiner Ansicht nach eine ganz klare katalytische Funktion, die idealerweise dazu führt, dass in Zukunft die akademische Gründungskultur schrittweise zum integralen Bestandteil von Hochschulen wird: personell und finanziell. Auch wenn wir in vielen Fällen noch ein gutes Stück davon entfernt sind, wäre es doch ein tolles Ergebnis, wenn EXIST sich selbst irgendwann überflüssig machen würde.

Das Unternehmerbild hat vor allem in den Siebzigerjahren bis hinein in die Neunzigerjahre sowohl an Schulen, aber auch an Hochschulen eher ein negatives Image gehabt. Haben Sie den Eindruck, dass sich durch EXIST die Einstellung zum Unternehmertum geändert hat?
Dr. Gaul: EXIST hat auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Letztlich haben wir es aber mit einer vielschichtigen Entwicklung zu tun. Dazu nur drei Beispiele: Erstens ist das heutige Unternehmerbild nicht mehr in jeder Hinsicht vergleichbar mit dem Unternehmer der Sechziger- und Siebzigerjahre. Zweitens haben sich durch die Digitalisierung und die Internationalisierung der Unternehmen die Abläufe in den Unternehmen selbst massiv verändert. Drittens hat die US-amerikanische Start-up Szene mit ihren „Garagen Start-ups“ sicherlich für einen zusätzlichen Schub gesorgt – auch wenn das nichts prinzipiell Neues ist. Viele deutsche Familienunternehmen sind ja sozusagen in der Garage entstanden. Aber die Gründer im Silicon Valley haben den innovativen Charakter und die Idee von der Gestaltungskraft des Einzelnen sicher noch einmal verstärkt. All das hat sich natürlich auch auf die Hochschulen in Deutschland übertragen, so dass der Unternehmergeist in angemessener Weise und unter Berücksichtigung der akademischen Grundhaltung in die Hochschulen einziehen kann. Und dazu hat EXIST zweifellos beigetragen.

Eine Gründungskultur aufzubauen an Hochschulen – dazu braucht es Personal, dazu braucht es viel Einsatz auch vonseiten der Hochschulleitung, auch von der Professorenschaft. Sind gerade kleine Hochschulen nicht ein Stück weit überfordert damit? Oder umgekehrt: Lohnt sich der Aufwand?
Dr. Gaul: Die letzte Frage kann man sicher zunächst einmal mit Ja beantworten. Wir dürfen dabei allerdings nicht die Herausforderungen außer Acht lassen, vor denen die Hochschulen dabei stehen. Wenn wir von kleinen Hochschulen sprechen, sind das nicht nur, aber eben in vielen Fällen die Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Die sind laut den Hochschulgesetzen der Länder dazu verpflichtet, insbesondere anwendungsnahe Forschung und alles was sich daraus ergeben kann, also auch Unternehmensgründungen, als Schwerpunkte zu behandeln.

Und worin besteht das Problem?
Dr. Gaul: Ganz einfach: Die Mittelausstattung der Hochschulen reicht dafür in der Regel nicht aus. Auch wenn das BMWK hier mit EXIST-Potentiale einen wichtigen Beitrag leistet, wird das Programm den langfristigen finanziellen Bedarf nicht decken. Es ist auch nicht seine Aufgabe. Das heißt, viele kleinere und mittlere Hochschulen stehen hier vor großen Aufgaben. Wir stellen aber dennoch fest, dass allein anhand der vielen Bewerbungen für EXIST-Potentiale viele Fachhochschulen, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und natürlich auch Universitäten bereit sind, die Herausforderung anzunehmen, ihren Status als regionale Wirtschaftsmotoren auszubauen und sich weiter mit den kleinen und mittleren Unternehmen vor Ort stärker zu vernetzen.

Wünschen Sie sich noch mehr Unterstützung durch die Länder, gerade was das Thema Gründung und Hochschulen betrifft?
Dr. Gaul: Die Länder haben sehr genau erkannt, dass da noch großes Verbesserungspotenzial besteht. Gerade die Fachhochschulen/HAW stehen ja in einem besonderen Spannungsfeld: Sie sollen eine große Zahl an Studierenden ausbilden und dafür entsprechende Kapazitäten aufbauen. Gleichzeitig sollen sie nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung aktiv sein. Sie sollen sich zum regionalen Entwicklungsmotor entwickeln und gleichzeitig international aktiv werden. Diese Spannungen zu moderieren und mit entsprechenden Geldmitteln zu unterlegen – auch was die Förderung des Gründungsgeschehens betrifft –, ist eine grundlegende Aufgabe, die die Hochschulen und die Länder gemeinsam stemmen müssen.

Für EXIST-Potenziale haben sich auch eine ganze Reihe an Kunsthochschulen beworben. Können Sie das erklären?
Dr. Gaul: Ja. Man könnte sagen, Kreativität und Innovation sind Programm bei den Kunsthochschulen – das Querdenken, sich neue Dinge zu überlegen, Tabus zu brechen, neue Perspektiven zu entwickeln. Das liegt den Kunsthochschulen sehr nah.

Das gilt doch eigentlich auch für das Thema berufliche Selbständigkeit. Den Absolventinnen und Absolventen bleibt in der Regel kein anderer Weg, als sich selbständig zu machen. Insofern müssten Kunsthochschulen doch auch von der Gründungsbetreuung her schon ganz gut aufgestellt sein.
Dr. Gaul: Einerseits ist das richtig. Allerdings hat die berufliche Selbständigkeit in den künstlerischen Berufen einen anderen Charakter als im traditionell wirtschaftsnäheren Bereich. Sie ist von einem hohen künstlerischen Individualismus geprägt, der den Regeln des Marktes und des Unternehmertums oftmals eher distanziert gegenübersteht. Dabei gibt es Beispiele, die zeigen, dass Kunst und Ökonomie sehr gut zusammenarbeiten können. Nehmen wir den Bereich Design. Ein Großteil der angehenden Designerinnen und Designer wird später einmal sein Geld auch damit verdienen, Designideen zu entwickeln, die Unternehmen etwa für Marketing nutzen. Design-Kunst ist, muss und wird immer mehr sein als Marketingmaterial, aber de facto gibt es diesen Zusammenhang und etliche Beispiele, die zeigen, dass das sehr gut funktioniert.

Die meisten Selbständigen, die aus Kunsthochschulen kommen, gehören den freien Berufen an – bildende Künstler, Designer usw. Freiberufler kommen aber nicht in den Genuss von EXIST-Gründerstipendium oder auch EXIST-Forschungstransfer. Sehen Sie da nicht eine Art Widerspruch?
Dr. Gaul: Das ist richtig. Dieser Widerspruch ist da. Aber die Berufsbilder verändern sich. Das gilt auch für den künstlerischen Bereich. Designer haben zum Beispiel den Erfolg der deutschen Computerspielindustrie entscheidend mit geprägt. Die Spieleindustrie ist ein gutes Beispiel dafür, wie im Grunde ausgehend von der Kunst eine milliardenschwere Branche entstanden ist. Dahinter stecken Unternehmensgründungen, die mit ihrem Innovationspotential und ihren formalen Strukturen die Voraussetzungen erfüllen können, um etwa ein EXIST-Gründerstipendium zu bekommen.

Stand: Mai 2019