Prof. Dr. Heike Hölzner

Prof. Dr. Heike Hölzner

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Dr. Heike Hölzner ist Professorin für Entrepreneurship und Mittelstandsmanagement an der HTW Berlin – Hochschule für Technik und Wirtschaft.

Frau Professorin Hölzner, was macht ein gutes Start-up-Team aus?

Prof. Hölzner: Meiner Erfahrung nach gibt es da vier Erfolgsfaktoren. Erstens sollte das Team eine gemeinsame Vision teilen. Nicht nur in Bezug auf das Produkt oder die Dienstleistung, sondern auch in Bezug auf die Werte und Ziele, für die das Unternehmen stehen soll.

Zweitens sollten alle Teammitglieder die Fähigkeit mitbringen, offen miteinander zu sprechen. Wir allen wissen, wie wichtig Kommunikation und gute Gesprächskultur für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind. Die Fähigkeit, auch darüber zu sprechen, wie man miteinander kommuniziert, ist hier entscheidend.

Drittens gibt es in jedem Team laute und leise Teammitglieder. Erfolgreiche Teams sind sich dessen bewusst. Sie schaffen es, eine gute Balance zwischen introvertierten und extrovertierten Teammitgliedern herzustellen und auch den Leisen Gehör zu verschaffen. Und schließlich zum vierten Punkt: Ich habe in meiner Arbeit mit Gründungsteams immer wieder festgestellt, dass vor allem eine heterogene Zusammensetzung zum Erfolg beiträgt. Das bezieht sich nicht nur auf die fachliche Expertise der einzelnen Mitglieder, sondern auch auf deren unternehmerische Erfahrungen und auf persönliche Eigenschaften wie Geschlecht, kulturelle Hintergründe u. v. m.

Welche Rollen spielen die Geschäftsidee und die unternehmerische Entwicklungsphase dabei?

Prof. Hölzner: Jedes Team ist in seiner Zusammensetzung zunächst stark von den Erfordernissen der Geschäftsidee abhängig. Nun könnte man meinen, es entscheidet sich einmalig, zu Beginn einer Gründung, welche Konstellation besonders passend ist. Dem ist aber nicht so. Die Anforderungen an ein Team und die verschiedenen Rollen verändern sich drastisch, je nach Entwicklungsphase. Von der Seed-, über die Start-up- bis hin zur Wachstumsphase, ist eine Professionalisierung der Rollen und der Funktionen erforderlich. Je nach Phase gibt es aber auch unterschiedliche Schwerpunkte, die jeweils mit einer temporär aktiveren Rolle unterschiedlicher Teammitglieder verbunden ist. Zu Beginn stehen oft Entwicklungstätigkeiten und die Arbeit mit Test- oder Pilotkunden im Vordergrund. Das erfordert vor allem fachliche Expertise.

Im zweiten Schritt entwickeln sich die Aufgaben in Richtung Vermarktung und Weiterentwicklung des Produktes. Hinzukommen Pitches vor Investoren und die entsprechenden Anforderungen an die externe Kommunikation. Hier sind dann betriebswirtschaftliche Kompetenzen gefragt. In der Wachstumsphase steigen zudem die Erwartungen an die Führungskompetenzen. Und egal in welcher Phase: Es wird immer wieder ruhige Zeiten genauso wie auch immer wieder Krisen im Team, mit dem Produkt, mit Kunden oder Investoren geben. Das gehört dazu. Alles in allem handelt es sich also um ganz unterschiedliche Anforderungen, mit denen das Team konfrontiert ist. Vieles davon kann man lernen, manches ist aber auch eine Frage der Persönlichkeit. Falsch ist es daher, davon auszugehen, dass es eine Leitfigur im Team gibt, die über die verschiedenen Phasen hinweg alle Rollen ausfüllt und praktisch immer in vorderster Reihe steht. Im Gegenteil: Die Heterogenität im Team ist ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Sie sorgt dafür, dass das Teammitglied mit den geeigneten Kompetenzen jeweils in den Vordergrund rückt.

Unter dem Strich müssen die Teammitglieder sich in ihrer Rolle über die Zeit professionalisieren und die Aufgaben klar verteilt werden, aber es ist auch wichtig zu erkennen und zu respektieren, wenn ein Teammitglied feststellt, dass die neuen Herausforderungen nicht mehr zur eigenen Person passen. Dann muss das Team offen darüber sprechen, ob es sich neu sortieren und ggf. auch erweitern sollte.

Und miteinander kommunizieren, das hatten Sie bereits erwähnt. Warum ist das aus Ihrer Sicht ein so wichtiger Faktor?

Prof. Hölzner: Ein ganz wichtiger Punkt ist tatsächlich, WIE das Team miteinander kommuniziert. Das beginnt mit ganz banalen Dingen wie einer klaren Aufgabenverteilung. Während am Anfang jeder alles macht, teilen sich die Aufgabenfelder mit zunehmendem Wachstum immer mehr auf. Wenn da nicht beizeiten geklärt wird, wer wo Verantwortung trägt und Entscheidungskompetenz hat, kann das schnell zu einem unschönen Kompetenzgerangel führen.

Eng damit verbunden ist das Thema Feedback-Kultur: sich gegenseitig konstruktiv Rückmeldungen zu geben, auch wenn man mit Entscheidungen nicht einverstanden ist.

Worüber wir noch nicht gesprochen haben, ist die Rolle des Gesellschaftervertrages.

Prof. Hölzner: Tatsächlich verbindet man die Themen Teamentwicklung und Gesellschaftervertrag nicht zwangsläufig miteinander. Dabei sind klare Regelungen im Gesellschaftervertrag eine wichtige Voraussetzung für den späteren Erfolg oder auch Misserfolg der Zusammenarbeit. Viele Teams schrecken vor allzu klaren, strengen Vorgaben zurück. Man will sich keine bösen Absichten unterstellen, betrachtet offene Formulierungen als Zeichen gegenseitigen Vertrauens. Ich kann gar nicht häufig genug betonen, wie wichtig es ist, im Friedensfall Regelungen für eine mögliche Krise zu finden. Wenn sich alle dezidiert mit diesem Vertrag auseinandergesetzt haben, wissen sie, auf was sie sich einlassen. Das heißt, es kann später niemand sagen, er oder sie habe es sich so nicht vorgestellt.

Der Vertrag fixiert quasi die Erwartungen der einzelnen Mitglieder an die gemeinsame Zusammenarbeit. Ich würde daher soweit gehen zu sagen, dass die erfolgreiche Verhandlung eines detaillierten Gesellschaftervertrages, an deren Ende alle Mitglieder zufrieden sind, ein guter Lackmustest für die Zusammenarbeit im Gründerteam ist. Deswegen ist es wichtig, hier nicht an der falschen Stelle zu sparen und auf Standardverträge zurückzugreifen. Ein Gesellschaftervertrag sollte zum Beispiel eine Regelung zum Wettbewerbsverbot enthalten, um sicherzustellen, dass der abwandernde Teampartner nicht direkt zu einem konkurrierenden Unternehmen geht. Sinnvoll ist auch eine Regelung zum Einziehen von Gesellschafteranteilen, für den Fall, dass ein Teammitglied seine Kompetenzen überschreitet oder sich nicht an Vereinbarungen hält.

Schriftlich festgehalten werden muss auch, wer zu Beginn was in das Start-up einbringt, seien es Sachwerte, Schutzrechte und Kapital oder auch Arbeitskraft. Diese und weitere Punkte frühzeitig zu klären und schriftlich festzuhalten, trägt maßgeblich dazu bei, dass zu einem späteren Zeitpunkt Konflikte nicht eskalieren oder womöglich überhaupt entstehen.

Sie haben viele Erfahrungen in Ihrer Arbeit mit Gründungsteams gesammelt. Welchen Stellenwert hat das Thema Teamentwicklung bei den Gründerinnen und Gründern?

Prof. Hölzner: Das Thema Teamentwicklung wird häufig unterschätzt. Viele andere Dinge wie Produktentwicklung, Kapitalakquise, Kundenkontakte erscheinen zunächst wichtiger. Das führt dazu, dass Teamentwicklung als Aufgabe erst dann ins Bewusstsein gerät, wenn ein akutes Problem auf dem Tisch liegt bzw. eine gewisse Unzufriedenheit bei den Gründerinnen und Gründern herrscht. Nicht umsonst sagen viele erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, dass sie rückblickend viel früher über das Thema Teamentwicklung hätten sprechen sollen – auch mit externen Ansprechpartnern. Das müssen nicht immer Berater oder Coaches sein. Auch ein befreundeter Gründer oder eine Gründerin aus einem anderen Team kann hier ein guter Sparringspartner sein.

Gibt es denn besondere Fallstricke für Teams?

Prof. Hölzner: Ich habe mich dazu vor einiger Zeit mit meinen Kollegen zusammengesetzt, um wiederkehrende Muster für Probleme im Team zu identifizieren. Ein typisches Muster, über das wir immer wieder stolpern, haben wir als „Kompetenzfalle“ beschrieben. In dem Fall handelt es sich um ein weitgehend homogenes Team, bei dem alle Mitglieder eine hohe Exzellenz aus einer speziellen Fachrichtung mitbringen und in der Regel sehr überzeugt sind von ihrer Lösung. In diesem Fall kommt es oft zu einem gegenseitigen Bestätigungseffekt. Man klopft sich unentwegt gegenseitig auf die Schultern. Dabei entsteht dann zwar kein Konflikt innerhalb des Teams, aber das Problem ist, dass die Erfolgsaussichten des Produkts und des Geschäftsmodells viel zu wenig hinterfragt werden.

Ein weiterer Punkt ist die „Harmoniefalle“. Dabei ordnen sich die eher introvertierten und konfliktscheuen Teammitglieder dem Flow des Teams und dem eher extrovertierten Teampartner unter. Dieser wird in Ermangelung von Feedback in seinem Verhalten und seiner Meinung bestärkt, auch wenn sie nicht repräsentativ für das Team sind. Über die Zeit entstehen so oft schwelende Konflikte, für die beide Seiten Verantwortung tragen. Es ist genauso wichtig, die Hinweise der Leisen im Team nicht zu überhören, wie sich als introvertiertes Teammitglied deutlich zu artikulieren.

Eng damit verbunden ist die sogenannte „Konfliktfalle“. Je länger bestimmte Dinge nicht ausgesprochen werden und sich langsam eine zunehmende Unzufriedenheit bei einzelnen Mitgliedern breit macht, desto größer ist das Risiko, dass es irgendwann zu einem größeren Konflikt kommt, der nicht mehr auf sachlicher, sondern auf persönlicher Ebene ausgetragen wird. Im Sinne von: „Du lässt mich nie ausreden. Du triffst immer alle Entscheidungen alleine.“ Damit sind wir wieder bei dem Punkt, den ich bereits ansprach: Im Kern geht es darum, früh, sachlich und konstruktiv Feedback zu geben und offen über Meinungsverschiedenheiten zu sprechen. Genauso wichtig ist es aber auch, sich positiv über seine Teampartner zu äußern. Wir alle brauchen Bestätigung. Und oft vergessen wir in der Hektik des Alltags, uns auch einmal zu loben. Dabei tragen gerade diese positiven Kommentare und Bewertungen zu einem guten Arbeitsklima bei.

Nichts desto trotz: Wenn man eng zusammenarbeitet, gehören Konflikte dazu. Was kann man tun, wenn aus dem Konflikt eine Krise wird?

Prof. Hölzner: Ein handfestes Anzeichen für eine Krise ist, wenn man nicht mehr miteinander redet. Das ist dann spätestens der Zeitpunkt, zu dem sich das Team einen neutralen Blick von außen zur Unterstützung holen und sich zu einem moderierten Gespräch treffen sollte.

Das Ergebnis eines solchen Krisengesprächs könnte sein, dass einer das Team verlässt. Wie geht man damit um?

Prof. Hölzner: Natürlich ist es schmerzhaft, wenn ein Co-Gründer mit großer Expertise das Team verlässt. Aber es ist immer noch besser, als wenn ein nicht funktionierendes Team versucht, an der Konstellation festzuhalten, um die Expertise zu halten. Der Schnitt muss dann vollzogen werden. Ich finde es grundsätzlich wichtig, sich im Team gegenseitig die Freiheit zu geben und zu sagen: „Ich möchte das nicht mehr. Meine persönliche Situation hat sich geändert. Ich verlasse das Unternehmen.“ Mit dieser Entscheidung sollte das Team fair und sachlich umgehen und über geeignete Ausstiegsszenarien nachdenken, die das Unternehmen und das scheidende Teammitglied nicht beschädigen. Idealerweise wurden dazu klare Regelungen im Gesellschaftervertrag vereinbart.

Das Interview mit Prof. Dr. Heike Hölzner ist im Januar 2019 in der Publikation „Das ist EXIST 2018“ erschienen.