Klaus Fichter

Prof. Dr. Klaus Fichter, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH

© Borderstep - Rolf Schulten

Dr. Klaus Fichter ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Direktor des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit gGmbH.

Herr Professor Fichter, es gibt heute eine ganze Reihe von Start-ups, die mit ihren vielfältigen Ideen der Klimakrise trotzen möchten. Welche Schwerpunkte gibt es dabei?
Prof. Dr. Fichter: Man muss im Zusammenhang mit dem Klimawandel zwei Dinge unterscheiden: Das eine sind Ideen und Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes. Ihr Ziel ist es, CO2-Emissionen und weitere klimaschädliche Gase zu reduzieren. Das andere sind Anpassungen an die Folgen des Klimawandels. Beides gehört natürlich zusammen.

Bisher wird größtenteils und durchaus zu Recht über die Klimaschutzseite gesprochen. Dazu gehören regenerative Energien, Gebäudedämmung, eMobility usw. Hier wird es auch zukünftig noch einen enormen Handlungsbedarf geben. Ich nenne als Beispiel die Frachtschifffahrt. Wir haben heute diese gigantischen Containerschiffe, die mit extrem dreckigen Schiffsdiesel oder Schweröl fahren. Green Shipping ist daher ein großes Thema für die Zukunft. Da gibt es mittlerweile faszinierende Lösungen, die auf Windantrieb abstellen. Das ist ein Feld, wo sich in den nächsten zehn Jahren ein ganz fundamentaler Wandel vollziehen wird.

Und auf der Anpassungsseite?
Prof. Dr. Fichter: Auf der Anpassungsseite sehen wir Bereiche, an die bisher noch gar nicht so sehr gedacht wurde, die aber an Bedeutung gewinnen werden. Ich nenne als Beispiel das Thema Kühlung und Klimatisierung. Natürlich haben wir heute auch schon Klimaanlagen und Kältelösungen, allerdings wird sich der Bedarf im Zuge des Temperaturanstiegs erheblich erhöhen. Studien gehen davon aus, dass wir bis zum Jahr 2030 mehr Energie für Kühlung und Klimatisierung weltweit benötigen als für das Heizen. Da geht es dann nicht nur um energieeffiziente Kühlungs- und Klimatisierungslösungen, sondern auch um Alternativen zu schädlichen Flüssigkeiten für Kühlaggregate.

Hinsichtlich der Anpassungen an ein verändertes Klima werden darüber hinaus neue Ansätze in der Landwirtschaft bzw. der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft eine sehr große Rolle spielen. Im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährungssicherung tut sich zwar bereits jetzt schon einiges, aber das reicht noch nicht, denn in den kommenden 10, 20 Jahren wird die Nachfrage erheblich steigen. Ich denke in dem Zusammenhang zum Beispiel an das EXIST-geförderte Start-up Seed Forward. Die Gründer haben eine ökologische Saatgut-Beschichtung entwickelt, die das Saatgut robuster gegen Wetterextreme wie Trockenheit, Nässe etc. macht. Insgesamt also eröffnen sich für Start-ups große Chancen, auch wenn man leider sagen muss, dass es letztlich die pure Notwendigkeit ist, die dazu führt, dass wir weltweit dringend auf innovative nachhaltige Lösungen angewiesen sind.

Sie haben technologie- bzw. Life-Science-orientierte Ideen aufgeführt. Wie sieht es aus mit Dienstleistungen?
Prof. Dr. Fichter: Grundsätzlich ist es so, dass sich mehr als die Hälfte aller Gründungen, die einen Beitrag zum Umweltschutz bzw. Klimaschutz leisten, im Dienstleistungsbereich bewegen. Es ist also mitnichten so, dass wir es hier nur mit technologiebezogenen Hardwarelösungen zu tun haben. Im Bereich nachhaltige Mobilität gibt es zum Beispiel Start-ups, die Alternativen zu Fernreisen bzw. Anreize für den Nahurlaub anbieten und darüber versuchen, Konsummuster zu beeinflussen. Dabei ist es natürlich nicht ganz einfach, gegen die großen Reiseanbieter zu bestehen, aber zu beobachten ist auch, dass es ein wachsendes Interesse an weniger klimaschädlichen Urlaubsalternativen gibt. Und das ist ein tolles Feld für Start-ups.

Gibt es besondere Herausforderungen, vor denen Start-ups im Klimabereich stehen?
Prof. Dr. Fichter: Was wir generell bei Umwelttechnologien und bei nachhaltigen Lösungen sehen, ist, dass sich viele Investoren in diesen Feldern nicht gut auskennen und deswegen erst einmal vorsichtig sind. Die finden das grundsätzlich alles sehr sympathisch, aber wenn es konkret wird, fehlt ihnen oft das sektorale und spezifische Know-how. Das ist die eine Herausforderung.

Aber es gibt noch eine zweite Herausforderung: Bei vielen Investoren herrscht das Bild vor, dass Gründerinnen und Gründer von Green Start-ups vor allem die Welt retten wollen, aber kein Interesse daran haben, Gewinne zu erzielen. Dass das nicht stimmt, zeigt unser Green Start-up Monitor ganz klar. Aber – und das ist der Unterschied – die Gründerinnen und Gründer haben trotzdem den Anspruch, auch einen expliziten Klima- und Umweltschutzbeitrag zu leisten. Und das kommunizieren sie auch. Manch klassischer Investor meint dann, dass es die Gründungsteams mit der betriebswirtschaftlichen Rechnung und Gewinnorientierung nicht so ernst nehmen würden. Genau dieses Vorurteil besteht leider immer noch bei vielen Investoren.

Wobei ich gar nicht in Abrede stellen will, dass es durchaus einige Start-ups gibt, die tatsächlich die ökologische und gesellschaftliche Seite in den Vordergrund stellen und Einbußen beim Gewinn in Kauf nehmen. Da braucht es dann eben Investoren, die dieselbe Philosophie vertreten und mit einer etwas geringeren Rendite zufrieden sind. Davon gibt es allerdings bislang noch nicht allzu viele. Insofern ist das Matching zwischen den sehr missionsorientierten Start-ups und den passenden Investoren eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.

Wie sieht es aus mit den Rahmenbedingungen für grüne Start-ups?
Prof. Fichter: Hier gibt es eine weitere Herausforderung, vor allem im Bereich Energietechnologie. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind hier sehr volatil. Hinzu kommt, dass häufig neue Förderprogramme aufgelegt werden und bestehende wieder zurückgenommen werden. Das führt dazu, dass viele Investoren sagen: „Ein so politisch umkämpftes Feld mit ständig wechselnden Rahmenbedingungen ist uns zu heikel, da fehlt uns die Planungssicherheit.“

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Prof. Dr. Fichter: Wir setzen an der Finanzierung an. Das heißt, wir fordern zum Beispiel, dass es neben dem High-Tech Gründerfonds so etwas wie einen High Sustainability Gründerfonds gibt. Grundsätzlich können natürlich auch über den High-Tech Gründerfonds grüne Start-ups gefördert werden, aber meines Erachtens werden deren spezifischen Herausforderungen dort letztlich nicht angemessen berücksichtigt - auch wenn der HTGF ansonsten eine tolle Arbeit leistet. Aber nichts desto trotz ist es doch auch eine Frage der Kultur: Viele Gründerinnen und Gründer, die sich auf das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz konzentrieren, unterscheiden sich in ihrer Haltung und ihrem Anspruch von anderen Gründern. Die würden sich bei einem High-Tech Gründerfonds, auch wenn sie eine hoch innovative technologische Lösung anbieten, nur bedingt aufgehoben fühlen. Außerdem benötigen sie gezielte Kontakte zu nachhaltigkeitsorientierten Investoren und Geschäftspartnern. Solche spezifischen Netzwerke muss man als Förderfonds anbieten und für ein passendes Matching sorgen können.

Wie könnte so ein High Sustainability Gründerfonds aussehen?
Prof. Dr. Fichter: Wir denken hier an eine Public Private Partnership mit der Zielsetzung Klimaschutz, Energiewende und nachhaltige Mobilität. Im kleinen Rahmen gibt es zwar bereits erfolgreiche und wichtige Programme wie den Climate KIC der EU oder das Green Start-up Sonderprogramm der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Aber beide sind vom Volumen her nicht mit einem High-Tech Gründerfonds bzw. mit dem, was wir uns unter einem High Sustainability Fonds vorstellen, zu vergleichen. Außerdem würde ein High Sustainability Gründerfonds vor allem in der Wachstumsphase, wenn große Finanzierungsvolumina und starke Marktpartner benötigt werden, Wirkung zeigen.

Abgesehen davon verfolgen wir insgesamt ein ganz anderes Paradigma in der Gründungsförderung, das heißt: weg von der einseitigen, rein ökonomischen Bewertung der Gründungsprojekte, hin zu einer Betrachtung, die die wirtschaftliche Tragfähigkeit sowie die ökologischen und sozialen Effekte der Gründungsvorhaben gleichermaßen berücksichtigt. Wenn man die High-Tech-Strategie 2025 der Bundesregierung mit ihren prioritären Zukunftsherausforderungen und ihrer missionsorientierten Innovationspolitik ernst nimmt, braucht es ein solches neues Nachhaltigkeitsparadigma in der Gründungsförderung.

Das heißt, alle Gründerinnen und Gründer sollen sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?
Prof. Dr. Fichter: Ja, genau. Wir haben doch bisher nur über das Segment an Start-ups gesprochen, die wir als „grün“ oder nachhaltigkeitsorientiert charakterisieren. Das ist zweifellos eine wachsende und sehr wichtige Gruppe, die ungefähr ein Viertel aller innovativen Start-ups stellt. Aber was ist mit den anderen drei Viertel? Meiner Ansicht nach, sollte das Thema Nachhaltigkeit bei allen Gründungen mitgedacht werden, nicht zuletzt aus reinem Eigeninteresse der Gründerinnen und Gründer, um zum Beispiel Geschäftsvorteile oder Risiken noch besser erkennen zu können.

Wir führen aktuell ein Vorhaben durch, das von der Nationalen Klimaschutz-Initiative des Bundesumweltministeriums gefördert wird und sich „Sustainability4All“ nennt. Also Nachhaltigkeit für alle Start-ups. Das bedeutet, dass sich jedes Start-up bereits in der Planungsphase darüber Gedanken machen sollte, welchen Beitrag es für eine möglichst ausgeglichene Klimabilanz leisten kann. Ich bin davon überzeugt, dass, wer heute das Thema nicht mitdenkt und keine Antworten hat, schnell Probleme bekommt, wenn potenzielle Kunden und Investoren Fragen stellen.

Wie kann das praktisch aussehen? Indem die Konditionen in allen Förderprogrammen geändert werden?
Prof. Dr. Fichter: Absolut, da fängt es an. Auf unserer Agenda steht bereits, dass wir uns dazu in naher Zukunft intensiv mit den Fördergebern austauschen werden. Das gilt auch für EXIST. Warum sollte bei den Bewertungskriterien zukünftig nicht auch danach geschaut werden, wie das jeweilige Team an das Thema Nachhaltigkeit herangeht? Welchen Anteil könnten die Maßnahmen am zukünftigen Unternehmenserfolg haben? Das Ganze muss natürlich durch entsprechende Unterstützungsangebote flankiert werden. Wir haben zum Beispiel bereits vor einiger Zeit einen Sustainable Business Canvas entwickelt, der auf dem klassischen Business Model Canvas aufbaut und ergänzende Fragen zur Nachhaltigkeit abdeckt. Außerdem arbeiten wir derzeit an einem niedrigschwelligen Format, das zum Beispiel Gründerinnen und Gründer von Medizintechnik- oder Biotech-Start-ups motivieren soll, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen.

Und nicht zuletzt setzen wir uns auch dafür ein, dass die Frage der Nachhaltigkeit zukünftig auch bei der Evaluation von Förderprogrammen berücksichtigt wird. Unserer Einschätzung nach ist der bisherige Blick nicht mehr zeitgemäß. Die Fragen, inwiefern die einzelnen Programme zu Umsatzwachstum und Arbeitsplätzen beitragen, ist viel zu verkürzt. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, inwiefern die Programme in den Unternehmen zur Reduzierung von CO2-Emmissionen, Ressourcen usw. beitragen und sich womöglich auf ein zukunftsfähiges gesellschaftliches Konsumverhalten auswirken. Wir stoßen dabei übrigens keine neuen Türen auf: Der Europäische Sozialfonds, der ja eine ganze Reihe von Förderprogrammen - darunter auch EXIST - kofinanziert, hat das Thema Nachhaltigkeit in seinen Richtlinien bereits als eines seiner Förderziele verankert. Wir wollen nur, dass diese Vorgaben national überzeugend und effektiv umgesetzt werden.

Stand: August 2019