Stapellauf NORD°OST° - die Gründungsagentur der Hochschulen im Nordosten. So heißt das gemeinsame EXIST-Potentiale-Projekt der Universität Greifswald, der Hochschule Stralsund und der Hochschule Neubrandenburg. Die drei hatten sich zu Projektbeginn zum Ziel gesetzt, die regionale Vernetzung aus Wissenschaft und Wirtschaft voranzutreiben und eine lebendige Gründungskultur zu schaffen.

Team von Stapellauf NORD°OST°

Team von Stapellauf NORD°OST°

© Sascha Meichsner

Dr. Stefan Seiberling ist Projektleiter und Sprecher des Verbundprojekts Stapellauf NORD°OST° sowie Leiter des Zentrums für Forschungsförderung und Transfer der Universität Greifswald. Heute, knapp drei Jahre nach Projektstart, sagt er: „Wir sind ganz klar auf der Zielgeraden. Mit Unterstützung von EXIST-Potentiale konnten wir in den letzten Jahren testen, welche Angebote funktionieren und welche nicht. Das Ergebnis ist, dass wir nun mit Veranstaltungsformaten arbeiten, die sehr gut angenommen werden und tatsächlich etwas bewirken.“ Dazu gehört zum Beispiel der Businessplanwettbewerb SEGEL SETZEN! NORD°OST°. Seit 2023 steht der Wettbewerb neben den drei EXIST-Potentiale-Hochschulen auch Gründungsteams der Hochschule Wismar, der Universität Rostock sowie den außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern offen. Teilgenommen haben zuletzt 14 Gründungsteams. Fast 200 Gäste waren bei der Prämierungsveranstaltung im Pommerschen Landesmuseum in Greifswald. „Dabei hatten wir keine Probleme, Sponsoren aus dem öffentlichen und aus dem unternehmerischen Bereich zu finden. Wir hatte sogar Geldgeber aus Bayern, die sagten: Das ist ein spannendes Format, da engagieren wir uns gerne. Insofern zeigt der Wettbewerb, dass die Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft auch in einer vergleichsweise strukturschwachen Region funktionieren kann“, freut sich Dr. Stefan Seiberling.

Abgesehen von dem Wettbewerb möchte das Team von Stapellauf NORD°OST° aber vor allem zwei Angebote hervorheben, die ebenfalls mit Hilfe von EXIST-Potentiale entwickelt wurden. Dazu gehören das Förderprogramm für Gründerinnen „Female Founders NORD°OST°“ und das Veranstaltungsformat „Challenge-based Learning“.

Female Founders NORD°OST°

Das viermonatige Frühphasenprogramm bringt Mentorinnen aus Wirtschaft und Wissenschaft mit gründungsinteressierten Studentinnen, Absolventinnen und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der drei Hochschulen zusammen. Unterstützt werden die Ideenfindung und -entwicklung sowie die Vermittlung gründungsrelevanter Themen. Female Founders NORD°OST° bietet zudem einen geschützten Raum, in dem sich die Teilnehmerinnen austauschen können. Das Programm wurde im Herbst 2021 als Pilotprojekt gestartet. Im Schnitt nehmen an den ein-zweimal jährlich stattfindenden Runden acht bis zehn Gründerinnen teil. Insgesamt fünf Unternehmensgründungen sind seit dem Start daraus hervorgegangen.

Zu den Gründen, warum Female Founders NORD°OST° ins Leben gerufen wurde, sagt Dr. Stefan Seiberling: „Wir hatten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass gründungsinteressierte Männer oder auch gemischte Teams eigentlich keine Schwierigkeiten haben, zu uns in die Gründungsberatung und zu unseren Veranstaltungen zu kommen. Bei vielen unserer Studentinnen und Wissenschaftlerinnen sah das ganz anders aus. Sie waren zurückhaltender dabei, unsere Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen.“ Bei Female Founders NORD°OST° hat man den Spieß daher umgedreht. Dort ergreifen die Agentinnen der Gründungsagentur von Stapellauf NORD°OST° die Initiative und gehen auf Studentinnen, Absolventinnen und Wissenschaftlerinnen zu, um sie zu persönlichen Gesprächen einzuladen. „Wir setzen bei den Gesprächen immer an der individuellen Lebenssituation der Frauen an. Die eine denkt zum Beispiel gerade daran, den Wissenschaftsbetrieb zu verlassen, die andere sieht nach ihrem Studienabschluss keine attraktiven beruflichen Möglichkeiten. Wir überlegen dann gemeinsam in aller Ruhe, welche Optionen es gibt. Natürlich geht es dabei auch um eine denkbare unternehmerische Selbständigkeit. Diese offene und individuelle Gesprächsatmosphäre kommt bei den Frauen sehr gut an“, so Dr. Stefan Seiberling.

Darüber hinaus gibt es aber noch einen anderen Grund, warum es Female Founders NORD°OST° gibt: An allen drei Hochschulen haben die Agentinnen der Gründungsberatung immer wieder beobachtet, dass sich viele Frauen im Unterschied zu Männern unter einer „Geschäftsidee“ oft etwas ganz anderes vorstellen. „Unsere gründungsinteressierten Studenten oder Wissenschaftler sind oft sehr technikverliebt. Da steht an erster Stelle eine technische Anwendung für die dann erst ein Markt gesucht oder geschaffen werden muss. Bei vielen unserer Studentinnen und Wissenschaftlerinnen geht es dagegen vielmehr darum, Lösungen für existierende gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln, sei es, um die Produktivität im Home-Office zu steigern oder Begegnungsräume für den Austausch zu schaffen und die Lebensqualität zu steigern. Selbstverständlich darf man die unterschiedlichen Interessenslagen nicht pauschalisieren. Es gibt auch technikaffine Gründerinnen und sozial engagierte Gründer. Aber von der Tendenz her lassen sich doch deutliche Unterschiede erkennen. Von daher erfüllt Female Founders NORD°OST° durchaus seinen Zweck und wird sehr gut angenommen“, so Sophie Mossejko, Leiterin Female Founders NORD°OST°.

Prämierungsfeier im Rahmen des Businessplanwettbewerbs SEGEL SETZEN! 2023

Prämierungsfeier im Rahmen des Businessplanwettbewerbs SEGEL SETZEN! 2023

© Sascha Meichsner

Challenge-based Learning

Bisher war es ein Versuchsballon. Der aber hatte einen so guten Start, dass ihn Dr. Stefan Seiberling auf jeden Fall ebenfalls hervorheben möchte. Bei den „Challenges“ entwickeln Studierende, Absolventinnen und Absolventen praktikable Lösungen für reale Aufgabenstellungen aus der regionalen Wirtschaft oder der öffentlichen Verwaltung. Kontakte vermittelt das Team von Stapellauf NORD°OST°, indem es sich bei Unternehmen und Verwaltung in der Region nach deren aktuellen Herausforderungen erkundigt.

Im Mittelpunkt steht dabei immer ein bestimmter Schwerpunkt. Den Anfang machte das Thema Bioökonomie, also die Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen, Prozesse usw., um Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Die einzelnen Aufgaben, die sich aus der Themenstellung ergaben, drehten sich zum Beispiel um die Frage, was man alles aus Meeresalgen herstellen kann. Lebensmittel? Verpackungsmaterial? Kosmetika? Oder wie sich Produkte aus Sonnentau, einer kleinen fleischfressenden Moorpflanze mit erstaunlichen phytopharmazeutischen Eigenschaften, vermarkten lassen. Keine einfachen Fragen, mit denen sich die interdisziplinären Teams aus der Studierendenschaft dann rund zwei Monate lang unter professioneller Begleitung auseinandergesetzt haben. Auf der Agenda standen Markterkundungen, Gespräche mit den jeweiligen Zielgruppen, die stetige Weiterentwicklung der Ergebnisse mit Hilfe der Design-Thinking-Methode und regelmäßige Präsentationen vor Unternehmen.

„Ein voller Erfolg war die erste Runde dabei nicht nur“, so Dr. Stefan Seiberling, „weil die Unternehmen so positiv auf die Arbeitsergebnisse reagiert haben, sondern auch, weil sie im Vorfeld so offen gewesen waren, ihre Herausforderungen uns gegenüber zu äußern. Und nicht zuletzt freut uns natürlich sehr, dass aus der ersten Runde ein ernstzunehmendes Gründungsteam hervorgegangen ist. Überhaupt konnten wir einen ganz beträchtlichen Reifungsprozess bei den Studierenden beobachten. Auch wenn viele gesagt haben, dass die Arbeit ziemlich herausfordernd und alles andere als einfach gewesen ist, waren am Ende die meisten davon überzeugt, dass sie zukünftig mit Herausforderungen, egal welcher Art, strukturierter umgehen werden. Ich finde, das ist ein tolles Kompliment.“

Im Sommer 2024 findet die zweite Challenge rund um das Thema Social Entrepreneurship statt. Dabei wird es vor allem darum gehen, Ideen mit sozialem Mehrwert zu entwickeln, um Auswege aus der Strukturschwäche der Region zu finden.

Ausstellung von Start-ups beim Businessplanwettbewerb SEGEL SETZEN! NORD°OST°2023

Ausstellung von Start-ups beim Businessplanwettbewerb SEGEL SETZEN! NORD°OST°2023

© Sascha Meichsner

Gründungsunterstützung verstetigen

„Ich denke, ich kann für alle drei Hochschulen sagen, dass wir von Beginn an alle sehr motiviert waren und die Komplementaritäten zwischen den drei Hochschulen Stralsund, Greifswald und Neubrandenburg sehr gut genutzt haben, um wirkungsvolle Strukturen aufzubauen und damit einen wichtigen Beitrag zum Strukturwandel in der Region zu leisten“; ist Prof. Dr.-Ing. Petra Maier, Projektleiterin in Stralsund, überzeugt. Diese hohe Motivation hält nach wie vor an. Daran hat nicht zuletzt EXIST-Potentiale großen Anteil. „Wir haben in der Förderphase sehr positive Erfahrungen gemacht und hatten nie das Gefühl, dass man sich in ein Konkurrenzverhältnis begibt oder als kleinere Hochschule von der großen Universität Greifswald übervorteilt wird. Zwischen den Institutionen ist damit eine sehr schöne und vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden“, so Dr. Olaf Strauß, Gründungsberater an der Hochschule Neubrandenburg.

Alle drei Hochschulen der Wissenschaftsregion Nordost werden sich daher im Bereich Transfer zukünftig noch stärker gemeinsam engagieren. Für die im Rahmen von EXIST-Potentiale entwickelten Maßnahmen bedeutet das: Die Ringvorlesung „Praktische Gründungslehre“ wird dank des personellen Commitments aller drei Hochschulen fortgeführt. Auch für den Businessplanwettbewerb und die Challenges werden nach Auslaufen von EXIST-Potentiale ausreichend personelle und finanzielle Mittel zur Verfügung stehen – auch durch Sponsoren. Bei Female Founders NORD°OST° setzen die Verantwortlichen auf das Programm EXIST-Women des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Der Zuschlag dafür wurde bereits im Dezember 2023 erteilt. Damit geht die Hoffnung einher, dass das Programm über das Jahr 2024 hinaus verlängert wird.

Bestehen bleiben wird auch die Zukunftswerft, die die Universität Greifswald - trotz des knappen Raumangebots - im Januar 2023 eingerichtet hat. Dort finden Gründungsteams Büros, einen Meeting-Raum sowie Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen der Gründungsagentur. Die Räumlichkeiten werden schon jetzt sehr gut angenommen.

Besonders erfreulich ist nicht zuletzt, dass die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern bereits zugesagt hat, ihre Regionale Innovationsstrategie für intelligente Spezialisierung 2021-2027 (RIS) für die Gründungsförderstrukturen an den Hochschulen zu öffnen. Die Förderung orientiert sich an bestimmten Aktionsfeldern und Querschnittsthemen, zu denen die Hochschulen nun geeignete Projekte ausarbeiten werden. Das kann insbesondere die Unterstützung von Gründungen in den Bereichen Bio-Ökonomie, Erneuerbare Energie, Medizintechnik oder Biotechnologie betreffen. Die Förderung dafür startet voraussichtlich ab Januar 2025. Zuversichtlich sind die Hochschulen auch hinsichtlich der Nutzung weiterer Landesprogramme. So gibt es zum Beispiel für die Region Vorpommern einen eigenen Fördertopf für strukturbildende Maßnahmen. Zukunftsmusik sind dagegen noch Pläne der Industrie- und Handelskammern und anderen Akteuren für eine Innovationsagentur Mecklenburg-Vorpommern, die nicht nur den Bereich Forschung und Entwicklung abdecken soll, sondern womöglich auch den Bereich Gründungsförderung.

Angesichts der vielen Optionen blickt man beim Team Stapellauf NORD°OST° optimistisch in die Zukunft. Dazu trägt im Übrigen auch ein Player aus der Finanzbranche bei. Die Sparkasse Vorpommern hat eine Sparkassenstiftung ins Leben gerufen, die genau solche gründungsfördernden Formate unterstützt, wie sie an den Hochschulen angeboten werden: seien es Ideenwettbewerbe oder einzelne Veranstaltungen zur Sensibilisierung und Mobilisierung von Gründungsideen. Vor allem aber hat das Kreditinstitut sozusagen on top die Frühphasen-Investment-Gesellschaft „ESB Invest Vorpommern GmbH“ gegründet. Dr. Stefan Seiberling: „Die beteiligt sich an ausgewählten Gründungsteams mit substanziellen Summen, so dass sie auf dem Markt skalieren können. Ein solches Finanzierungsinstrument ist ja nun nichts, was man als Sparkasse einfach mal so aus dem Nichts heraus macht. Im Gegenteil: Die Sparkasse Vorpommern hat sehr lange und sehr genau beobachtet, was hier an den Hochschulen passiert und was wir in Sachen Gründungsunterstützung aufgebaut haben. Irgendwann kamen die Verantwortlichen dann auf uns zu und haben uns gesagt, dass sie unsere Arbeit unterstützen möchten, und zwar mit einem passenden Finanzierungsinstrument für frühphasige Start-ups. Das ist doch ein Riesenerfolg!“

Stand: Februar 2024