Gründerteam Formhand

Gründerteam Formhand

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Kurzinfo:

Formhand GmbH
Gründungsteam: Kirsten Büchler, Holger Kunz, Dr. Christian Löchte
Gründungsjahr: 2017
Hochschule: Technische Universität Braunschweig
EXIST-Forschungstransfer: 2016 bis 2019

Ob Schalen, Gläser, Ziegel oder Turnschuhe: Die Greifkissen von FORMHAND schmiegen sich lückenlos an die Geometrie und Oberfläche der Bauteile an und sind so in der Lage, eine Vielzahl von Gegenständen unabhängig von deren Form oder Oberfläche zu heben und zu transportieren. 2017 gründeten Kirsten Büchler, Holger Kunz und Dr. Christian Löchte das Unternehmen aus der TU Braunschweig heraus mithilfe von EXIST-Forschungstransfer. Inzwischen wurden die drei mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Wir haben mit Co-Gründerin und Geschäftsführerin Kirsten Büchler über die Herausforderungen der jüngsten Krisen, die Vorteile gegenüber der Konkurrenz und die Zukunft des Unternehmens gesprochen.

Ihr Unternehmen entwickelt und vertreibt universelle Greifkissen für den Einsatz in Industrie und Logistik. Was ist das Besondere an diesen Greifkissen und welche Probleme lösen Sie?
Kirsten Büchler: Die Greifkissen passen sich an unterschiedliche Oberflächen an, sodass viele verschiedene Objekte mit nur einem Werkzeug gehoben, transportiert und fest eingespannt werden können. Wir bieten flexible Greif- und Spannlösungen mit produkt- oder anwendungsunabhängigen Funktionen an. Weil unsere Produkte anpassungsfähiger sind, kommen sie mit unterschiedlichen Oberflächen und Formen besser zurecht als die herkömmlichen industriellen Greifer. Unsere Greifkissen haben vor allem enormes Potenzial in Produktion und Logistik und können in fast allen Gebieten der automatisierten Handhabung eingesetzt werden. Dafür bieten wir standardisierte Produkte in vier Größen an, die flexibel zu kundenindividuellen Lösungen kombiniert werden können.

Wie unterscheidet sich Ihr Produkt von herkömmlichen Systemen?
Kirsten Büchler: Die Herausforderungen in der Industrie- und Produktionswelt bestehen insbesondere darin, unterschiedliche Geometrien von Bauteilen mit möglichst wenig Greifern heben und transportieren zu können. Dies erfordert Flexibilität in der Hardware. Bislang hat sich eine Vielzahl unterschiedlicher Greifer-Technologien in der Handhabungs- und Automatisierungstechnik etabliert, zum Beispiel Vakuum-, Backen- und Flächengreifer. Verglichen mit unseren Greifkissen sind alle in ihrer Flexibilität begrenzt, da sie lediglich die bekannten Greifer kombinieren oder die Flexibilität der bestehenden Konzepte durch bewegliche Elemente erweitern. Wir sehen unsere Produkte als deutliche Erweiterung und Ergänzung des bestehenden Marktes. FORMHAND bietet die einzige Technologie, die eine stark variantenreiche Handhabung ermöglicht.

In welchem Kontext ist die Technologie entstanden?
Kirsten Büchler: FORMHAND kommt aus der Forschung an der TU Braunschweig. Das heutige Unternehmen wurde 2010 als Forschungsidee zweier Institute begonnen und im Jahr 2016 als EXIST-Projekt an der TU Braunschweig am Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik etabliert. Ein erstes Patent hat die TU Braunschweig 2012 eingereicht. Durch einen großen Zuspruch aus der Industrie waren die beiden Forscher hochmotiviert, mit dem Thema zu gründen und die weitere Verwertung der Forschungsergebnisse selbst in die Hand zu nehmen.

Wie hat sich das Gründungsteam zusammengefunden und über welche Kompetenzen und Qualifikationen verfügen Sie und Ihre beiden Co-Gründer?
Kirsten Büchler: Die beiden Wissenschaftler Dr. Christian Löchte und Holger Kunz haben mich im Kontext der Bewerbung um EXIST-Forschungstransfer ins Team geholt. Nachdem wir mit unserer Bewerbung erfolgreich waren, haben wir 2017 zusammen die Firma gegründet. Holger Kunz und Dr. Christian Löchte sind beides Maschinenbau-Ingenieure, ich habe eine kaufmännische Ausbildung, anschließend Wirtschaftsinformatik studiert und dann sieben Jahre im Großkonzern gearbeitet. Wir teilen uns die Aufgabengebiete bei FORMHAND auf: Dr. Christian Löchte hat den technischen Vertrieb und das Marketing übernommen. Holger Kunz leitet die Entwicklung und die Produktion. Ich kümmere mich um die Finanzen und das Personal.

Wer ist ihre Zielgruppe?
Kirsten Büchler: Unsere Kunden sind Unternehmen aus dem internationalen, produzierenden Gewerbe vom sogenannten OEM-Markt. Dabei handelt es sich um Erstausrüster, also Hersteller von Komponenten oder Produkten, die diese nicht selbst in den Einzelhandel bringen. Aber auch KMU, Logistik-Betriebe und Handwerksunternehmen. Unsere Anwendungen kommen hauptsächlich aus den Bereichen: Montage, Karosseriebau, Presswerk und Intralogistik, das sind Material- und Warenbewegungen, die sich innerhalb eines Betriebsgeländes abspielen.

Sie wurden bei Ihren Gründungsvorbereitungen von der TU Braunschweig und der Technologietransferstelle (TTS) begleitet. Wie bewerten Sie diese Unterstützung rückblickend?
Kirsten Büchler: Die TTS hat uns sehr gut unterstützt, wir waren jedoch eines der ersten Teams, die EXIST-Forschungstransfer erhalten haben. Daher waren EXIST-Prozesse an der Uni unbekannt. Wir haben uns dann den Weg gemeinsam bereitet. Wir stehen weiterhin in engem Kontakt, sowohl mit der TTS als auch mit der TU Braunschweig und arbeiten aktuell gemeinsam an einem Forschungs- und Entwicklungs-Vorhaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Sie haben von 2016 bis 2019 EXIST-Forschungstransfer erhalten. Was war bei diesem Programm besonders hilfreich?
Kirsten Büchler: Man kann ganz einfach sagen: Ohne EXIST wäre das Unternehmen FORMHAND so nicht entstanden. Die Möglichkeit, ohne Start-Risiko, mit einem enormen Betrag an finanziellen Mitteln ein Hardware-Unternehmen aufzubauen, war und ist einzigartig.

Haben Sie im Anschluss von EXIST weitere Förderprogramme in Anspruch genommen? Wenn ja, welche?
Kirsten Büchler: Ja, 2019 und 2020 wurden wir vom EU-Förderprojekt „ROBOT UNION“ unterstützt. Aktuell sind wir in zwei Projekten aktiv: Im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) und in einem Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Diese werden in enger Zusammenarbeit mit der TU Berlin und TU Braunschweig realisiert – hier haben wir auf unser Forschungs-Netzwerk zurückgegriffen und können jetzt Zukunftsentwicklungen vorantreiben.

Wie ist Ihnen der Markteintritt gelungen?
Kirsten Büchler: Wir haben ein marktreifes Produkt entwickelt und bieten ein skalierendes Geschäftsmodell mit sehr hohem Potenzial zur Kundenbindung durch umfangreiche Möglichkeiten im After-Sales-Market an. Hierzu sind wir seit 2022 dabei, Vertriebspartner hauptsächlich im deutschen Markt aufzubauen. 2019 wurde das erste Serienproduktionsprojekt beauftragt, seitdem konnten wir die Zahl der Produktivanlagen vervielfachen. Für die Bewerbung der Technologie bieten sich viele Plattformen an wie Fachkongresse, Messen, soziale Medien, Newsletter. Darüber können wir die Alleinstellungsmerkmale und den Kundennutzen platzieren. Dazu setzen wir Bildmaterial, Videos, Vorträge und Whitepaper ein. Mit Beginn der Corona-Pandemie lag ein besonderer Fokus auf einer digitalen Content-Strategie. Dafür haben wir unter anderem das eigene Video-Format „FORMHAND-begreifen“ entwickelt. Damit kommunizieren wir kundenorientierte Inhalte über unsere Technologie und Hintergründe zum Unternehmen, die Technikplaner und Entscheider gleichermaßen adressieren.

Wie sind Sie bei der Internationalisierung vorgegangen und in welchen Ländern sind Sie schon präsent?
Kirsten Büchler: Wir beliefern diverse europäische Länder und auch einige Kunden in Südkorea. Dort haben wir bereits einen Vertriebspartner gefunden. Die „echte“ Internationalisierung steht uns noch bevor, aktuell schaffen wir es noch gut remote per Telefon, in Video-Konferenzen und mit den typischen Fracht-Dienstleistern unsere Produkte in die europäischen Anlagen zu integrieren. Der Ausbau des Partner-Netzwerkes ist ein wichtiger Baustein für die nächsten zwei, drei Jahre.

Sie hatten in den letzten fünf Jahren sicherlich mit vielen Herausforderungen zu tun. Welche würden Sie hervorheben und wie sind Sie damit umgegangen?
Kirsten Büchler: Das stimmt. Corona-Pandemie, Investitionsstopps und konjunkturelle Unsicherheiten haben die Arbeit nicht gerade erleichtert, dazu ein neues Produkt, das in der Produktion harten Bedingungen standhalten muss. Dafür benötigt man Vertrauen und Referenzen aus dem Kundenkreis. Dies aufzubauen ist hart und in den letzten Jahren durch die genannten Randbedingungen noch erschwert worden.

Wo stehen Sie heute, nach sechs Jahren mit Ihrem Unternehmen und haben sich Ihre Erwartungen bislang erfüllt?
Kirsten Büchler: Wir stehen kurz vor dem Durchbruch zum skalierenden Wachstum, mit allen Schmerzen, die die letzten Jahre mit sich gebracht haben. Das ging nur mit Investorengeldern und unseren tollen Mitarbeitenden – aktuell sind wir in sieben Branchen vertreten. In der nahen Zukunft planen wir ein Wachstum mit branchenspezifischem Fokus, mit einer Konzentration auf zwei Geschäftsfelder. Eins davon wird strategisch aufgebaut und das andere – bereits Bestandsgeschäft – klarer ausgerichtet auf unsere Standardkomponenten.

Start-ups werden nach wie vor vorwiegend von Männern gegründet. Wie würden Sie Hochschul-Absolventinnen und Wissenschaftlerinnen für den Weg in die Selbständigkeit motivieren?
Kirsten Büchler: Da ich selbst aus der Wirtschaft zurück in eine Uni-Ausgründung gegangen bin, kann ich nur sagen, dass man mit einer guten Idee und der passenden Motivation viel erreichen kann und es einfach Spaß macht, in der Start-up-Welt Erfahrungen zu sammeln. Ob das für einen das Richtige ist, muss jeder für sich entscheiden. Das hat wenig mit Mann oder Frau zu tun! Darüber hinaus ist es sehr motivierend, wenn Kunden auf einen zukommen, die seit Jahren nach einer Lösung für ihr Problem gesucht haben und wir ihnen helfen können.

Stand: Juni 2023