Dr. Tina Klüwer, Leiterin von K.I.E.Z.

Dr. Tina Klüwer, Leiterin von K.I.E.Z.

© K.I.E.Z.

Seit 2021 leitet Dr. Tina Klüwer das Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrum in Berlin, kurz K.I.E.Z., eines von vier EXIST KI-Modellprojekten, das vom Bundeswirtschaftsministerium finanziert wird. K.I.E.Z. fördert wissenschaftsnahe Unternehmensgründungen im Bereich KI sowie deren Skalierung. Ziel ist es, die Gründungspotenziale für KI-Start-ups an den Berliner Universitäten zu heben. Klüwer ist Mitgründerin des Start-ups parlamind (inzwischen VIER), das KI-Software anbietet. Sie gilt als eine der führenden Expertinnen Deutschlands auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und ist unter anderem Mitglied im Zukunftsrat des Bundeskanzlers Olaf Scholz. Wir sprachen mit ihr über die gesellschaftliche Bedeutung von KI und die Notwendigkeit einer staatlichen Förderung für KI-basierte Gründungen.

Dr. Klüwer, Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde: Zahlreiche Innovationen scheinen die Welt derzeit zu revolutionieren. Aber was ist Künstliche Intelligenz eigentlich genau?
Klüwer: KI ist Software, die menschliche Kompetenzen wie Kategorisieren, Lernen, Planen und Kreativität imitiert. Es ist ein Oberbegriff für verschiedene Technologien, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert haben. Heutzutage zählen vor allem Maschinelles Lernen und Künstliche Neuronale Netze zur KI. Beide Technologien zeichnet aus, dass sie anhand von Beispieldaten trainiert werden. Die Software lernt während des Trainings eigenständig, Ähnlichkeiten in den Daten zu erkennen und speichert diese in einem sogenannten „Modell“ ab, das dann nach der Trainingsphase für unterschiedliche Aufgaben verwendet werden kann. Klassische Aufgaben für KI sind das automatische Kategorisieren von bisher unbekannten Daten, das Erkennen von Mustern in unsortierten Daten und das Generieren von neuen Daten. Ein Beispiel für generative Modelle ist das aktuell viel besprochene ChatGPT. Diese großen, generativen Modelle sind durch die immense Menge von Trainingsdaten sehr leistungsstark. Aber auch andere KI-Systeme können punktuell menschliche Fähigkeiten erreichen oder sogar übertreffen. Das KI-System von parlamind beispielsweise war in der Lage, in einer Minute mehrere Tausend E-Mails zu analysieren und kategorisieren.

Welche Anwendungsbereiche der KI sind besonders erfolgreich?
Dr. Klüwer: Potenziale für KI finden sich in fast allen Bereichen: Überall wo sich in großen Datenmengen Muster erkennen lassen, bestehen Potenziale für deren Analyse. Erfolgreiche KI-Lösungen finden sich in zahlreichen Anwendungsbereichen. Zum Beispiel in der Medizin: von der Diagnostik über die Medikamentenentwicklung bis zur KI-basierten Servicerobotik. Nur mittels KI-unterstützter Sequenzierung von Proteinen waren Unternehmen in der Lage, so schnell einen Impfstoff für Covid zu entwickeln. Auch im Energiebereich, beispielsweise beim Energiemanagement von Gebäuden, gibt es große Fortschritte. Der deutsche Mittelstand investiert vor allem in KI-basierte Prozessautomatisierung und die Interaktion mit Kundinnen und Kunden. Außerdem gehe ich davon aus, dass die großen Herausforderungen unserer Zeit wie der Klimawandel, aber auch neue Infrastrukturen wie große Datenmodelle junge Entrepreneure zu ganz neuen Geschäftsideen inspirieren werden. KI wird in nahezu allen Anwendungsbereichen und Branchen eine Rolle spielen.

Was kann man tun, um den Menschen die Ängste zu nehmen, dass KI ihre Existenzgrundlage bedroht?
Dr. Klüwer: Derzeit ist das Bild, das sich die meisten Menschen von Künstlicher Intelligenz machen, sehr diffus. Wir sehen, dass in dieser Situation der Diskurs zu KI nicht sachlich geführt, sondern mit einer Sprache aufgeladen wird, die ein völlig falsches Bild darüber vermittelt, was KI kann. Es braucht mehr Aufklärung darüber, was überhaupt hinter KI-Technologien steckt. Und ja, KI wird unsere Arbeitswelt verändern. Routinearbeiten werden von Software übernommen werden, die Generierung von Inhalten wird sich vereinfachen, Berufsbilder sich wandeln und neue Berufe entstehen. Das alles wird nicht über Nacht passieren. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden sich aber mittelfristig auf Veränderungen einstellen müssen.

Welche Rolle spielen KI-Gründungen bislang in der bundesweiten Gründungslandschaft und in ihren regionalen Start-up-Ökosystemen?
Dr. Klüwer: Der Startup-Monitor 2022 vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. weist eine zunehmende Bedeutung von KI aus. Das ist die zentrale Studie zum deutschen Start-up-Ökosystem. Für 45 Prozent der befragten Unternehmen spielt KI im Rahmen ihres Geschäftsmodells eine wichtige Rolle. Das Berliner Start-up-Ökosystem hat 2021 drei starke Player hinzugewonnen: den KI-Park, den AI Campus Berlin und K.I.E.Z. Gemeinsam mit der Initiative Berlin Partner und weiteren Akteurinnen und Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft treiben wir Künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit Gründungen voran. Die Berliner KI-Start-up-Szene ist sehr aktiv und engmaschig vernetzt. Daraus entsteht eine Strahlkraft weit über Berlin hinaus. Dies merken wir nicht zuletzt an den zahlreichen Gründenden sowie Expertinnen und Experten, die aus aller Welt nach Berlin kommen, um hier zu forschen oder zu gründen.

Das EXIST-Programm des BMWK unterstützt KI-Start-ups durch vier Modellvorhaben. Welches Ziel wird damit verfolgt?
Dr. Klüwer: K.I.E.Z. wird von den Berliner Universitäten – Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, Technische Universität Berlin und der Charité Universitätsmedizin – getragen. Es ist das Ziel, mehr und nachhaltigere Ausgründungen von wissenschaftsbasierten KI-Start-ups aus den Berliner Universitäten und der Region zu erreichen und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig zu stärken. Das Besondere an K.I.E.Z. ist, dass wir den gesamten Lebenszyklus von Start-ups mit KI-spezifischen Angeboten begleiten können. Das heißt: von der Validierung von Forschungsergebnissen über die Inkubation bis in die frühe Wachstumsphase nach der Unternehmensgründung.

Welche Fortschritte sehen Sie im Vergleich mit anderen Staaten seit dem Start der KI-Initiative der Bundesregierung?
Dr. Klüwer: Unsere Forschung ist Weltklasse, aber es gelingt uns noch zu selten, diese in wirklich skalierbare und nachhaltige Unternehmen zu überführen. Deshalb ist das von EXIST geförderte Programm der vier Modellprojekte, zu denen noch die in Darmstadt, München und Hamburg zählen, so wichtig. Denn die Gründung von Start-ups ist ein wichtiger Transferpfad. Mit den Modellvorhaben haben wir eine Struktur geschafften, mit der wir für eine bessere marktwirtschaftliche Verwertung der Forschungsergebnisse sensibilisieren und die tatsächliche Umsetzung professionell begleiten können, und zwar erstmals auch über die Gründungsphase hinaus.

Welchen Beitrag können Hochschulen leisten, um die Zahl der KI-Gründungen zu erhöhen?
Dr. Klüwer: Alle Berliner Universitäten haben eigene Gründungszentren, die schwerpunktmäßig in der Inkubation unterstützen. Der Begriff Inkubator kommt ursprünglich aus der Medizin und bezeichnet eine Art Brutkasten für Frühgeborene, der ein optimales Klima schafft, in dem die Neugeborenen in Ruhe heranwachsen können. Im übertragenen Sinne übernehmen Inkubatoren bei Unternehmensgründungen eine ähnliche Funktion. Inkubatoren stellen dem Start-up eine Umgebung bereit, die optimale Bedingungen bietet, um erfolgreich ins Geschäftsleben zu starten. Wenn ein Start-up-Team den Weg zu uns gefunden hat, können wir es vielfältig unterstützen. Der Beitrag, den Hochschulen leisten können, liegt in dem Potenzial für mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft. Im Wissenschaftsbetrieb liegt die Keimzelle für neue Ideen und innovative Ergebnisse. Es geht auch darum, Forschenden, Absolventinnen und Absolventen Unternehmensgründung als einen möglichen Karriereweg aufzuzeigen und zugänglich zu machen. Hier gibt es zwar bereits Studienangebote in Entrepreneurship, aber KI ist eine Querschnittstechnologie, die in den Naturwissenschaften genauso Anwendung findet wie in den Sozial- oder Kulturwissenschaften. Die Sensibilisierung auf breiter Ebene ist also ebenso wichtig wie herausfordernd.

Vor welchen Hürden stehen Gründungsteams in der Phase zwischen Vorbereitung und Markteintritt?
Dr. Klüwer: Die erste Schwierigkeit ist, das richtige Gründungsteam auf die Beine zu stellen. Für KI-Start-ups müssen gleich zu Beginn sehr unterschiedliche Qualifikationen eingebunden werden. Founder-Matching ist daher wichtig und eine oft nachgefragte Unterstützungsleistung. In der Vorbereitungsphase sind Gründungsteams zumeist durch EXIST-Gründungsstipendium oder EXIST-Forschungstransfer finanziell abgesichert. So können sich die Teams auf die Produkt- und Geschäftsmodellentwicklung konzentrieren. Eine Herausforderung für alle Start-ups ist die Finanzierung danach. Bei K.I.E.Z. haben wir gezielt ein Netzwerk von Risikokapitalgebern aufgebaut, die bereits Erfahrungen mit KI-Start-ups gesammelt haben. Das ist wichtig, denn die Produktentwicklung ist sehr aufwendig, gerade KI-Teams brauchen oft lange, um den besten Product-Market-Fit zu finden. Sie brauchen Investorinnen und Investoren, die nicht auf einen schnellen Return on Investment setzen, also auf die sofortige Refinanzierung ihres Einsatzes. Unsere Teams sind auf verschiedenen Märkten aktiv. Entsprechend unterschiedlich gestalten sich die Hürden beim Markteintritt. Wir haben in unseren Programmen Start-ups mit kleinen, leicht verständlichen Apps, die ihren Markt gefunden haben und schnell skalieren. Andere tun sich schwerer. Schließlich sind KI-Produkte in der Regel keine Fertiglösungen. Die KI muss erst noch auf den Anwendungsfall trainiert werden. Das erfordert auch auf Kundenseite personelle Ressourcen. Und auch der Fachkräftemangel ist eine der Hürden für Wachstum von KI-Start-ups. Die jungen Unternehmen befinden sich in einem globalen Wettbewerb um Spezialisten und sind häufig nicht in der Lage, die zuletzt stark gestiegenen Gehälter in diesem Bereich zu zahlen. Das betrifft andere Branchen aber auch.

Laut Start-up-Strategie der Bundesregierung soll der Zugang zu Daten erleichtert werden. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Dr. Klüwer: Die Relevanz von Daten als Treiber für KI-Use-Cases und neue Geschäftsmodelle ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die Bundesregierung geht damit einen wichtigen Schritt. Verfügbare Daten können ganze Ökosysteme, neue Innovationen und Lösungen stimulieren. Allerdings muss beachtet werden, dass die eigenen Daten vor allem für junge Unternehmen ein relevantes Asset sind. Daher sollten sie diese nicht offenlegen müssen. Die KI-Start-ups nutzen zum Großteil existierende Algorithmen. Es sind die Daten, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil sichern. Öffentliche Daten sollten frei zugänglich sein, damit die Start-ups mit deren Hilfe für die Gesellschaft nutzbringende Anwendungen entwickeln können.

Wie sieht Ihre Unterstützung für die Start-ups aus?
Dr. Klüwer: K.I.E.Z. bietet Unterstützung für KI-Gründungen genauso wie für bereits gegründete Unternehmen anhand des gesamten Lebenszyklus eines jungen Unternehmens. Unsere Unterstützung beginnt in der frühen Phase, indem wir an den Universitäten nach geeigneten Ideen und Personen für KI-Gründungen scouten. Wir veranstalten auch verschiedene Events, in denen wir potenziellen Gründerinnen und Gründer diesen Karriereweg erläutern. Darauf aufbauend bieten wir mit dem Bridge-to-Market-Programm Unterstützung in der Validierungsphase einer Geschäftsidee. Hier werden pro Projekt bis zu drei Personen mit Stipendien von bis zu sechs Monaten in der Evaluierung einer Geschäftsidee unterstützt. Anschließend bieten wir mit den Inkubatoren an den Universitäten für bis zu 12 Monate Co-Working-Spaces an, unterstützen bei der Einwerbung von Public Fundings und helfen durch unser Mentoring, ihre Gründungsidee bis zum Businessplan weiterzuentwickeln. Wenn das erfolgreich war, haben noch einmal sechs Teams im Halbjahr die Chance in unseren Accelerator einzuziehen und Unterstützung bei den ersten Wachstumsschritten zu erhalten.

Wie wird das Angebot angenommen?
Dr. Klüwer: Wir erfahren eine sehr positive Rückmeldung. Accelerator und Inkubator haben einen stetigen Strom von Interessenten aus den Universitäten und darüber hinaus. Das Bridge-to-Market Programm hat eine rasante Wachstumskurve seit seinem Start hingelegt. Am kostenintensivsten ist das Scouting in der ganz frühen Phase. Immer noch ist nur ein Bruchteil der Studierenden und Forschenden dafür zu begeistern, ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Hier muss noch mehr getan werden.

Welche Art von Projekten fördern und unterstützen Sie?
Dr. Klüwer: Wir fördern nur Projekte, in denen KI ein integraler Bestandteil des Produkts und des Geschäftsmodells ist. Darüber hinaus sind wir offen. Bei der Auswahl der Projekte achten wir vor allem auf die Potenziale des angedachten Businessmodells und der Teams.

Wie sieht die Förderung durch die Modellvorhaben genau aus?
Dr. Klüwer: Das Angebot von K.I.E.Z. fußt auf drei Säulen: einer auf die individuellen Bedürfnisse von KI-Start-ups zugeschnittenen Betreuung und Beratung, der Bildung eines weitläufigen Kompetenznetzwerks und der Schaffung von Aufmerksamkeit für KI-Ausgründungen. Komplettiert wird dieses Angebot durch EXIST-Gründungsstipendium für die Teams in der Validierungs- und der Inkubationsphase.

Wie viele KI-Start-ups fördern Sie derzeit und wie viele bislang insgesamt?
Dr. Klüwer: Seit Start des Programms 2021 haben bereits 17 KI-Start-ups das K.I.E.Z.-Accelerator Programm erfolgreich absolviert. In den Inkubatoren befinden sich durchschnittlich etwa 20 KI-Start-ups. Bei Bridge-to-Market haben sich seit dem Start zu Beginn des Jahres 21 Teams beworben und drei sind bereits in der Förderung. Derzeit befinden sich knapp 30 Unternehmen in den verschiedenen Programmen.

Sie widmen sich neben der Hebung von Potenzialen vor allem der Skalierung und Internationalisierung von Ideen. Welche Fortschritte sind dort zu verzeichnen?
Dr. Klüwer: K.I.E.Z. unterstützt wissenschaftsbasierte KI-Start-ups von der Validierung von Forschungsergebnissen bis in die Wachstumsphase hinein. Die Möglichkeiten einer schnellen Skalierung hängen dabei wesentlich von den verwendeten KI-Technologien und dem Markt ab. Einige unserer Unternehmen interessieren sich bereits während unserer Programme für die Internationalisierung. Wir arbeiten eng mit dem German Accelerator zusammen, der seit dem vergangenen Jahr einen dezidierten KI-Track anbietet. Grundsätzlich sind wir jedoch daran interessiert, Bedingungen zu schaffen, damit die Start-ups ihre Unternehmen auch weiterhin von Deutschland aus finanzieren und skalieren können.

Stand: April 2023