Junge Frau arbeitet an Mikroskop, neben sich eine aufgeschlagene Aktenmappe, im Hintergrund weitere Studenten an Mikroskopen

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Ausgründungen im Biotech- und Chemiebranche mögen herausfordernder erscheinen als in der Digitalbranche. Doch mit den richtigen Partnern gibt es auch hier Erfolgsgeschichten.

Im August wurde bekannt, dass der Spezialchemie-Gigant Evonik die JeNaCell GmbH aufgekauft hat – ein Start-up, das mit seiner Erfindung einer Biotech-Cellulose Aufsehen erregte. Dieser Exit kommt nicht überraschend für das Medizintechnik-Unternehmen, das bereits seit 2015 Evonik als beteiligten Partner an Bord hatte. JeNaCell, 2012 ausgegründet aus der Friedrich-Schiller-Universität Jena und durch den EXIST-Forschungstransfer unterstützt, ist ein Beispiel für ein erfolgreiches Biotech-Start-up. Bislang sind jedoch Start-ups wie diese bei Biotech und Chemie noch rar: Lange Forschung- und Entwicklungszeiten sowie ein hoher finanzieller Einsatz erschweren die Gründungen – oft sind sie nur mit großen Unternehmen als Investoren langfristig umsetzbar.

Hochschul-Labore für Forschung unter Realbedingungen

Diese Lücke besetzen aber mehr und mehr jetzt auch Hochschulen: Sie greifen Gründungswilligen mit Know-how, Equipment und eigenen Räumlichkeiten unter die Arme. So eröffnet diesen Dezember der „Entrepreneurship-HUB“ der TH Ingolstadt, der allein durch seine Verortung zentral auf dem Campus seine Bedeutung demonstriert. Ausgerichtet ist der HUB auf die drei Schwerpunkte Künstliche Intelligenz (KI), Mobilität und Internet der Dinge (IoT). In drei Arealen werden dort jeweils hochwertige Geräte für die Studenten zum Erproben und Erforschen bereitstehen.

interatec e lab

„Das Netzwerk kann gar nicht groß genug sein”

Auch aus der Industrie gibt es Initiativen, die zwischen finanzstarken Unternehmen und den Start-ups vermitteln: Das „Forum Startup Chemie” wurde genau aus diesem Grund ins Leben gerufen, um Gründungswillige mit potenziellen Kunden, Kooperationspartnern und Investoren aus dem Sektor Chemie zusammenzubringen. Ganz entscheidend dabei ist der Aspekt der Vernetzung. „Betrachtet man die Herausforderungen, vor denen speziell die Gründer aus der Chemie stehen, kann das Netzwerk gar nicht groß genug sein”, erklärt Dr. Denise Schütz vom Verband der Chemischen Industrie e.V., Mitglied des Koordinierungskreises des Forum Startup Chemie.

Alternativen zum Exit

Bei JeNaCell entstand durch diese Art der Vernetzung eine fruchtbare Partnerschaft zwischen den beiden Gründerinnen und dem Chemie-Unternehmen Evonik, die in eine Übernahme mündete. Doch ein Exit muss nicht immer das erklärte Ziel einer Ausgründung sein. Beispielsweise hat es die Ineratec GmbH seit ihrer Gründung 2016 bis heute geschafft, unabhängig zu bleiben. Dem Anbieter von innovativen chemischen Reaktor-Technologien für synthetische Kraftstoffe, E-Fuels genannt, gelang das mit Hilfe mehrerer Kooperationen und mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als forschungsstarkem Hochschulpartner.

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Der Weg dahin war allerdings nicht immer leicht: Dr. Tim Böltken, Mitgründer und Geschäftsführer der Ineratec GmbH, sagt: „Es ist sehr schwierig, direkt vom Labor auf den Markt zu kommen. Mit der Möglichkeit, große Mengen an Geld einzuwerben, schafft man das. In den USA ist das eventuell etwas einfacher als in Europa, die letzten Jahre hat sich das aber auch hierzulande gewandelt.“


Synthetische Kraftstoffe sind auf dem Vormarsch

Eine Firmengründung 2016 ermöglichte schließlich der EXIST-Forschungstransfer. Zudem wurde das Start-up Teil des Kopernikus-Projekts, einer Forschungsinitiative zur Energiewende, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Mit dieser Starthilfe gelangten die Gründer schnell zu einem Use-Case mit E-Fuels, der sich in den letzten fünf Jahren erfolgreich weiterentwickelt hat. Heute sind synthetische Kraftstoffe im Kommen. „Damals war das für uns keine Option, zuerst viel Geld zu sammeln und lange im Labor zu entwickeln”, erinnert sich Tim Böltken. Das junge Start-up hatte Glück: Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurde an der Technologie schon mehrere Jahrzehnte geforscht. So musste das Team nicht mehr bei der Grundlagenforschung anfangen und konnte auf eine bestehende Technologie aufsetzen, die bereits im Labor erprobt wurde, sondern „konnte sich dadurch diese Technologie exklusiv lizensieren und musste sie `nur noch´ vom Labor auf den Markt bringen“, so Böltken.

interatec Anlage

Auftragsforschung und Kunden, die hinter dem Team stehen

„Als kleines Forscherteam aus dem Labor ist es trotzdem nicht leicht, die ersten Kunden von einer neuen Technologie zu überzeugen. Auch hier hatten wir Glück. Bereits im ersten Gründerjahr gelang es uns, Kunden zu akquirieren, die an uns geglaubt haben“, sagt Tim Böltken. Das Team von Ineratec demonstrierte im Auftrag von Partnern aus der Chemie das neue chemische Verfahren. Gleichzeitig konnte es mit einem finnischen Forschungs- und Technologie-Unternehmen und einem großen deutschen Automobilunternehmen zwei namhafte Kunden akquirieren, um ihre chemischen Anlagen zu realisieren und die synthetischen Kraftstoffe weiterzuentwickeln.

Heute passt die gesamte Technologie einer Anlage in einen 40-Fuß-Container – und soll in Serie gehen, um damit E-Fuels, auch im Hinblick auf fossile Kraftstoffe sowie andere Alternativen (z. B. Biokraftstoffe), konkurrenzfähig zu produzieren. Nach wie vor vertraut das Team dafür auf Partner: Mit der Altana AG aus Nordrhein-Westfalen arbeitet Ineratec etwa am erfolgreichen EU-Projekt ico2chem, um die Dekarbonisierung von CO2 voranzutreiben. Tim Böltkens Fazit: „Ohne Partner geht es nicht. Man darf sich aber nicht durch diese von seinem Ziel abbringen lassen. Ähnlich wie die Automobilindustrie ist auch die Chemieindustrie eine sehr etablierte Branche, in der es scheinbar ein wenig länger dauert, Innovationen durchzusetzen.“ Dass das sehr wohl möglich ist, belegt die Ineratec GmbH. Das Chemie-Start-up hat es mit Beharrlichkeit, guten Kontakten und einer Hochschule im Rücken geschafft, sich erfolgreich auf dem Markt zu etablieren.

Stand: Oktober 2021